Stéphane Arriubergé und Massimiliano Iorio haben sich eine kleine Ecke in der Messehalle 6 reserviert. Eingekeilt zwischen den hohen Wänden der Standnachbarn – lauter große italienische Konzerne – wirkt die Kollektion von „Moustache" etwas verloren. Trotzdem sind die beiden Gründer und Eigentümer des französischen Möbellabels froh, dass sie den Sprung von der Zona Tortona auf das Messegelände geschafft haben: „Seit drei Jahren versuchen wir, einen Stand auf dem Gelände in der richtigen Halle zu ergattern. Dieses Jahr hat es endlich geklappt", sagt Stéphane Arriubergé. „Für den Launch vor zwei Jahren war die Zona Trotona in Ordnung. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir auf der Maison & Object in Paris mehr Bestellungen verbuchen konnten als in der Zona Tortona. Deshalb war der Sprung auf das Messegelände auch in Mailand wichtig für uns."
Gegründet im Krisenjahr 2009, war der Anfang des Unternehmens, das sich nach dem „Schnurrbart" benannte, ein Abenteuer, auf das sich die beiden jungen Franzosen aus Mangel an Alternativen eingelassen haben. „Wir hatten alles geplant, und dann kam plötzlich die Krise", erinnern sie sich. „Uns blieb keine andere Wahl als einfach weiterzumachen." Ohne einen potenten Investor im Hintergrund, hat Moustache in zwei Jahren ein Vertriebsnetz aufgebaut, das auf Online-Verkauf und auf Möbelhäuser vor Ort setzt. Die Erfahrungen mit Domestic, dem Unternehmen für kleinere Alltagsgegenstände wie Teller und Tapeten, das die beiden Gründer schon seit mehreren Jahren führen, hat dabei geholfen. Lagerräume und Büros werden von dem siebenköpfigen Team beider Firmen gemeinsam genutzt. Auch der Kontakt zu Designern existierte bereits. Dass einige Hersteller, bei denen Moustache Möbel fertigen ließ, durch die Wirtschaftskrise Insolvenz anmelden mussten, hat die ersten Jahre jedoch erschwert.
Selbstkritik als Wirtschaftsstrategie
In der Zwischenzeit ist die Kollektion von Moustache auf eine kleine aber feine Gruppe an Stühlen und Tischen, Leuchten und Regalen von Inga Sempé, François Azambourg, Big-Game und anderen französischen Designern angewachsen. Einige Stücke sind schon wieder aus dem Katalog verschwunden – auch das gehöre dazu, meint Stéphane Arriubergé. „Man muss wirklich kritisch mit sich selbst sein. Und wenn wir keine Käufer für unsere Ideen finden, dann geht das leider nicht." Andere Produkte wiederum haben sich als Bestseller entpuppt. Der Bold-Stuhl des Designerteams Big-Game zum Beispiel wurde seit seiner Markteinführung vor zwei Jahren etwa 4.000 mal verkauft – die Absatzzahlen nehmen sogar weiter zu. „Das ist ein sehr ansehnlicher Erfolg für uns", freut sich Stéphane Arriubergé. „Ich glaube man braucht jedes Jahr ein Möbel, das Charisma und Mut beweist, damit es sich auf dem Markt behaupten kann." Die ungewöhnliche Leuchte „Vapeur" von Inga Sempé – für den Tisch, aber auch als Deckenleuchten geeignet – spiegelt die klare Stoßrichtung von Moustache wieder: Mit unkonventionellen Ideen, die sich an den Bedürfnissen der jungen Käufer- und Designergeneration des Labels orientieren, ist eine charakterstarke Möbelkollektion entstanden. Im mittleren Preissegment angesiedelt, sind dabei viele Möbel auch für jüngere Käufer erschwinglich – und sie interpretieren deren Bedürfnisse auf eine zuweilen verblüffende, ebenso einfache wie praktikable Weise.
Wann kommt die neue Schnurrbart-Kollektion?
Jüngstes Meisterstück ist der dreibeinige Holzstuhl „Petite Gigue" von François Azambourg: Ein filigranes, sorgfältig gearbeitetes Möbelstück, das trotz seiner miniaturhaften Anmutung kompakten Sitzkomfort offenbart. Anders als viele ihrer Konkurrenten hat sich Moustache entschieden, dieses Jahr auf dem Salone keine neue Kollektion zu präsentieren. Azambourgs Dreibeiner und ein einfacher Teller als Wandkonsole „Balcon" von Inga Sempé – ebenso praktisch wie neutral – sind die einzigen Neuheiten bei Moustache. „Wir nutzen die Möbelmesse für unsere Umsätze", sagt Arriubergé. Erst im Juli, zur Design Parade im südfranzösischen Hyères, präsentiert Moustache eine neue Kollektion. „Wir sind zu einer eigenen kleinen Ausstellung in einer Kapelle eingeladen", meint der gelernte Innenarchitekt besonnen. „Diesen Rahmen wollen wir nutzen, um eine tolle Ausstellung zu machen, ohne kommerziellen Hintergrund." Klingt recht idealistisch und doch gleichzeitig realistisch. Erst im kommenden Jahr ist die neue Kollektion dann auch in Mailand zu sehen – und kann dort von Händlern bestellt werden.
Investment in den Anti-Kitsch
Ganz anders – mit weniger Idealismus und stärker auf den Verkauf bedacht – präsentiert sich das ebenfalls vor zwei Jahren eingeführte italienische Label „Skitsch". Statt für experimentelle Wagnisse und eine strikte Auswahl entschied man sich hier für einen möglichst breites Sortiment und für „multichannel-stores", mit denen Skitsch den Markt erobern möchte. „Wir wollten gleich in die Vollen gehen", sagt Massimiliano Moschini, der Generaldirektor von Skitsch. Das Sortiment soll ein möglichst heterogenes Publikum ansprechen und verschiedene Marktsegmente bedienen. So findet sich Borek Shipeks „Kicker"-Tisch für 3.500 Euro ebenso im Katalog von Skitsch wie Marc Sadlers „Madeira"-Stuhl für 120 Euro. Der Name des Labels bedeutet im Deutschen soviel wie „Anti-Kitsch" und versammelt naiv romantische Entwürfe der jungen italienischen Designerin Alessandra Baldereschi ebenso wie solche von Altmeistern und bekannten Stars des Metiers, zu denen auch Marcel Wanders und Jean-Marie Massaud zählen. Cristina Morozzi, Designjournalistin, Kuratorin und Kritikerin, gibt dem Label als Art Director eine recht unkontrollierte Linie. Mit einem eigenen „multichannel-store" in der Via Monte di Pietà in Mailand, einem zweiten eigenen Laden in London und Franchise-Läden in Beirut und – von Juni an – in São Paulo, zeigt Skitsch eine offensive Marktstrategie und wird heute über ein Vertriebsnetz mit 25 Agenturen in 400 Läden in Europa verkauft. „Unser Ziel sind 800 bis 1000 Läden", sagt Massimo Moschini, der vorerst mit dem bisherigen Ergebnis zufrieden ist.
Gemischtwarenladen ohne eigenen Charakter
Das Konzept der Kollektion ist bewusst offen gehalten: junge und ältere Käufer sollen angesprochen werden. Statt einer einheitlichen Sprache will Skitsch jeden Geschmack und jedes Portemonnaie bedienen und lässt den Designern deshalb größtmöglichen Raum. Das heterogene Publikum zählt ebenso mit zum „branding" wie unterschiedliche Materialien – von Crystal Plant bis Holz und von Porzellan bis Kunststoff. Die Glasobjekte von Dovetusai wurden – nach dem Kauf der Firma – in das Skitsch-Universum integriert, ebenso wie in den Läden auch Möbel von Magis oder anderen Herstellern verkauft werden, um Impulskäufe zu fördern. „Wir wollen keine eigene Handschrift haben, sondern für jeden etwas anbieten", sagt Moschini und verweist darauf, dass der Eklektizismus heute überall zu Hause sei und deshalb auch als Marktstrategie Sinn mache. Die Skitsch-Kollektion umfasst in der Zwischenzeit insgesamt 350 Produktfamilien: Sofas und Stühle, Uhren und Tische, Bücherregale von Front Design und Leuchten der Campana-Brüder. Ein Gemischtwarenladen also, der sich nicht unbedingt immer von seiner besten Seite zeigt: Unter den insgesamt achtzehn Neuheiten, die Skitsch während des diesjährigen Salone zeigt, sind Entwürfe wie die Outdoor-Familie „FildeFer" von Alessandra Baldereschi. Stühle aus Metall, die in ihrer verschnörkelten Manier an Clubsessel erinnern und sich dennoch nicht als humorvolle Zitate, sondern als einfältige Drahtgestelle entpuppen. Doch es gibt auch Überraschungen unter den neu aufgelegten Stücken: Die Deckenleuchte „2D Led" von „design Ding 3000" zum Beispiel geht den Weg der radikalen Reduktion, der mit der LED-Technologie möglich ist.
Bleibt die Frage, wie Skitsch letztendlich einzuschätzen ist: Als Möbel- und Krimskramsladen? Oder als Fundgrube für bezahlbares Design? Die Firma selbst jedenfalls sieht sich als unmittelbarer Konkurrent von Unternehmen wie Zanotta oder Alias, wobei die Verkaufspreise absichtlich niedriger gehalten sind.
Text: Sandra Hofmeister