Oskar Zieta trifft Audi-Designchef Stefan Sielaff. Beide arbeiten mit Blech. Der eine, Stefan Sielaff, ist für das Erscheinungsbild der Audi-Flotte zuständig. Der andere, Oskar Zieta, bläst es auf und formt so leichte, aber sehr stabile Möbel – und wurde von dem A&W-Designer des Jahres, Tokujin Yoshioka, für den Audi-Mentorpreis by A&W nominiert. In Ingolstadt tauschten sie Erfahrungen aus.
Herr Sielaff, welche Gemeinsamkeiten gibt es beim Design von Audi und dem von Oskar Zieta?
Stefan Sielaff: Wir passen gut zusammen, was das Material, den Verarbeitungsprozess und ein Stück auch die Ästhetik betrifft. Für Audi spielt die Verarbeitung von Stahl, Aluminium oder einer Mischung aus beiden Metallen eine entscheidende Rolle. Wir machen die Werte der Marke – sportlich, progressiv und hochwertig – in der Designsprache, in den Konturen von Blech und Aluminium sichtbar. Unsere Entwicklungsabteilungen setzen dabei auf die Warmumformung von Metallen. Der Prozess ist kostspielig und lässt sich nur in größeren Serienproduktionen einsetzen. Audi stellt pro Tag etwa 300 Autos her. Das ist in der Möbelbranche bereits eine Kleinserie.
Und was sind die wesentlichen Unterschiede?
Oskar Zieta: Da die Serien in der Möbelbranche kleiner ausfallen, sind aufwendige Werkzeuge für die Produktion oft unerschwinglich. Ich wollte eine Möglichkeit finden, Blech ohne diese Werkzeuge zu stabilisieren und den Prozess dabei so flexibel wie möglich gestalten. Am Anfang waren die Ergebnisse unserer Versuche noch recht unkontrolliert. Erst nach sechs Jahren Forschung, vielen Diskussionen mit Ingenieuren und tonnenweise verknickten und verbeulten Blechen waren wir soweit. Wir erkannten die Regeln, mit denen wir die Konturen des Blechs beim Aufblasen kontrollieren.
Sie haben also mehr an einer neuen Technik als an einem neuen Produkt gearbeitet?
Oskar Zieta: Ja. aber letztendlich haben wir keine neue Technologie erfunden, sondern lediglich zwei Aspekte miteinander verbunden – die Lasertechnologie für das Schneiden und Schweißen des Blechs einerseits und die Flexibilität des Materials andererseits. Heute arbeiten wir an den Möglichkeiten, die „Freie Innendruck Umformung“ (FiDU) in neuen Bereichen einzusetzen, beispielsweise für Leitplanken, die sich der Energie des Aufpralls anpassen wie ein Airbag.
Stefan Sielaff: Das klingt nach einem guten, aber sehr anspruchsvollen Projekt. Metall aufzublasen ist in meinen Augen ein grundsätzlich spannendes Thema, weil das Material für eine spezifische Ästhetik steht. Man muss nur an Jean Prouvé denken, der in den 30er- und 40er-Jahren in Frankreich eine ganze Epoche mit seiner Industrieästhetik geprägt hat. Für die Autoindustrie spielt der Leichtbau mit Metall prinzipiell eine signifikante Rolle, und wir haben in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte in diesem Bereich gemacht. Stahl ist heute wesentlich dünner und deshalb leichter als noch zu Zeiten des ersten VW-Käfers, trotzdem aber mindestens genauso fest und stabil. Das Potenzial liegt also im Material selbst: Jedes Gramm, um das die Karosserie eines Autos leichter wird, kann bei der nächsten Tankfüllung gespart werden.
Oskar Zieta: Es ist interessant, dass Sie auf Prouvé kommen. Zu Beginn meiner Dissertation habe ich mir die Frage gestellt, wie sich die Konstruktionen von Jean Prouvé auf heutige Produktionsprozesse übertragen lassen. Die Verarbeitungstechnologien haben sich dank der Automobilbranche deutlich verbessert. Früher hatten Blechtafeln eine durchgängige Dicke. Sie werden wie ein Pizzateig ausgewalzt und sind heute an den Stellen, an denen Kraft abgeleitet wird, dicker und stabiler. Ich glaube, dass die Innovation auch dort stattfindet, wo sich Material und Produktionsverfahren kreuzen und interdisziplinäre Teams am Werk sind.
Ist die Ästhetik des Plopp-Hockers also allein das Ergebnis des Fertigungsverfahrens?
Oskar Zieta: Unsere Produkte sind Manifeste der Blechstabilisierungstechnologie, mit der sie produziert werden. Insofern ergibt sich ihre ästhetische Sprache aus einem Fertigungsverfahren, bei dem Lasertechnologie und Roboter eingesetzt werden. Der Touch des Handmade entsteht bei „Plopp“ erst im letzten Schritt, nämlich beim Aufblasen. Jeder Hocker sieht so aus, als ob er individuelle Beulen hätte und ist somit ein Unikat. Doch die Beulen sind Resultate der industriellen Produktion, sie stabilisieren die Konstruktion.
Stefan Sielaff: Hier ergibt sich auch eine Parallele unserer beider Disziplinen: Für die Automobilindustrie ist Formen von Blech mithilfe von Luftdruck in einigen Bereichen der Oberflächengestaltung relevant. Auch das Lasern gehört heute zum State of the Art. Ein Unterschied liegt jedoch darin, dass sich diese Technologien bei Audi meistens dem Gesamterscheinungsbild des Designs unterordnen. Ästhetik ist keine Konsequenz aus dem Fertigungsprozess, sondern wir legen eine Formensprache fest und richten die Produktion einzelner Teilbereiche auf sie aus.
Design ist also eher eine Ingenieursleistung, denn ein freier künstlerischer Schaffensprozess?
Stefan Sielaff: Anders als viele Klischees behaupten, geht es im Design nicht um spontane Ideen, die schnell auf Papier skizziert sind und dann in die Produktionsabteilung weitergereicht werden. Design besteht wie die Kunst aus 10% Inspiration und 90% Transpiration. Die leichte Muse, die der kreativen Welt gerne angedichtet wird, ist in Wirklichkeit harte Arbeit. Hinzu kommen in der Autoindustrie eine Reihe recht komplexer Zusammenhänge zwischen Karosserie, Technologie und Innenraum. Die Gestaltung muss sehr viele Voraussetzungen berücksichtigen – Gesetzesvorgaben, technologische Prämissen, aerodynamische Regeln, Kopfeinstiegsmaße und vieles mehr. Manchmal machen unsere Designer Witze und vergleichen den Gestaltungsprozess mit dem Malen nach Zahlen für Kinder. Wir müssen so viele festgelegte Punkte einhalten, dass es fast ein Wunder ist, dass sich Autos heute noch unterscheiden und dass sich eigenständige Markenbilder entwickeln lassen.
Oskar Zieta: Das Malen nach Zahlen erkenne ich auch in meiner Arbeit wieder. Schöne Formen und tolle Ideen spielen dabei nur am Rand eine Rolle. Eigentlich ist das Aufblasen von Blechen eine relativ langweilige Angelegenheit – die Arbeit selbst besteht primär in der Prozesskontrolle. Da wir noch relativ spontan arbeiten, könnten wir gerade in diesem Punkt sicher einiges von Audi lernen. Schließlich ist die Strukturierung von Arbeitsprozessen nicht unwesentlich im Design.
Gibt es ein Geheimnis guten Designs?
Stefan Sielaff: Es zeigt sich immer wieder, dass Dinge, die leicht und selbstverständlich aussehen, am schwierigsten zu gestalten sind. Das macht die Qualität der Arbeiten von Oskar Zieta aus: Seine Objekte wirken selbstverständlich, obwohl ein komplexes Verfahren hinter ihnen steckt. Genialen Dingen sieht man oft nicht an, dass sie in harter Arbeit entstanden.
Biografien
Stefan Sielaff
geb. 1962, ist Chefdesigner der Marke Audi.
Er studierte Industriedesign in München und Fahrzeugdesign am Royal College of Art in London. Seine berufliche Laufbahn begann der gebürtige Münchner im Bereich Interieur Design bei Audi. Von 1995 bis 1997 war er in Spanien mit dem Aufbau des Design Center Europe für die Marken VW, Audi und SEAT verantwortlich. Zurück in Ingolstadt prägte er als Leiter des Audi Interieur Design die heutige Interieur-Formensprache der Modellreihen A4, A8 und A6. 2003 wechselte Sielaff als Design Direktor des Interior Competence Centers zur Daimler Chrysler AG. Seit 2006 leitet er die Designabteilung der Marke Audi.
Oskar Zieta
geb. 1975, ist Architekt, Designer und „Blech-Forscher“.
Nach seinem Architekturstudium in Stettin (Polen) wechselte er an die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH), wo er heute als Doktorand am Lehrstuhl für Computer Aided Architectural Design forscht. 2007 gründete er das Unternehmen „Zieta Prozessdesign“ mit Sitz in Zürich und Warschau. Zietas Design-Entwürfe basieren auf der „Freien Innendruck Umformung“ (FiDU), die dünnes Blech mithilfe von Lasern und Robotern aufbläst und stabilisiert. Zieta wurde 2009 mit dem Designpreis der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Sein Hocker „Plopp“ wurde unter anderem in die Design- Sammlung des Centre Pompidou in Paris aufgenommen.
Interview: Sandra Hofmeister