Die Fotografien von Friederike von Rauch widmen sich Details, die normalerweise ignoriert werden. Aus der Fülle an akribischen Beobachtungen wächst ein abstraktes, offenes Kompendium, das einen anderen Blick auf Räume zulässt und in dem neuen Bildband „In Secret“ vorgestellt ist.
Architekturfotografie ist meistens menschenleer. Bernd und Hilla Bechers schwarzweiß-Aufnahmen von Industriebauten, beispielsweise von den Wassertürmen oder Hochöfen, wollen Typologien und Gebäudeformen dokumentieren und archivieren. Die Architektur wird dabei mit nüchternem Blick festgehalten, vor fahlem Himmel in zentraler Perspektive. Für die jüngere Generation an deutschen Fotografen war diese inszenierte Sachlichkeit prägend. Candida Höfer, Thomas Ruf oder Andreas Gursky, die bei Bernd Becher in der Fotoklasse der Düsseldorfer Kunstakademie studierten, haben längst zu einer eindrucksvollen eigenen Bildsprache gefunden. Ihre Aufnahmen von Interieurs oder Landschaften kommen jedoch oftmals ohne Menschen aus – wie die Fotos der Bechers oder die vieler aktueller Architekturfotografen.
Bei den Fotografien der Berlinerin Friederike von Rauch jedoch verhält sich die Sache etwas anders: Auch hier sind keine Menschen zu sehen, dafür aber werden Spuren sichtbar, die an Menschen erinnern. Über einem barocken Paravent, der in einer schlossähnlichen Raumsituation mit prächtigen Wandbespannungen und Holzvertäfelungen steht, hängt ein flüchtig hingeworfenes Leintuch. Auf der Leinwand eines historischen Gemäldes, das nur als Ausschnitt sichtbar ist, lässt sich die Arbeit der Restauratoren erahnen. Den größeren Zusammenhang ihrer Detailbeobachtungen blendet Friederike von Rauch bewusst aus. Die Orte selbst bleiben auf diese Weise austauschbar. Auch im Titel der Fotos sind die Accademia in Venedig sowie Museen in Antwerpen, Brüssel und Dresden oder Potsdam – in denen von Rauch fotografierte – nur angedeutet und als Abkürzungen verschlüsselt.
Durch die stringent gewählten Ausschnitte von Räumen und die absichtliche Einschränkung des Blicks rückt das Wesentliche in den Vordergrund. Friederike von Rauchs Fotografien halten verborgene Details fest, die oftmals ignoriert und übersehen werden, obwohl sie für die Essenz der Wahrnehmung entscheidend sind. Die Lichtführung in Nischen, das Spiel der Farblinien von Bilderrahmen oder der Schattenwurf eines Vorhangs sind Situationen, die sich die Künstlerin mit der Kamera aneignet. Statt auf Präsentation und Repräsentation zu setzen, entstehen auf diese Weise ebenso situative wie abstrakte Konstellationen, die von Rauch zu offenen Serien und Sequenzen arrangiert. Wie Fotogramme bekennen sich die Aufnahmen zu einer Abkehr von der Realität. Sie machen Details aus dem Verborgenen wahrnehmbar und werden selbst zum Kunstwerk.
Nicht nur Museen stehen dabei im Fokus der Fotografin. In der Serie „Transept“ beispielsweise sind Ausschnitte von Interieurs aus Sakralräumen festgehalten. Kein Kreuz und kein Symbol jedoch verweist auf den Nutzungszusammenhang der Räume und ihren christlichen Hintergrund. Stattdessen verdichten sich karge Wände und brutalistische Betonoberflächen zu abstrakten Flächen aus Licht- und Schattenzonen, nüchtern und gleichsam säkularisiert.
Von Rauch nutzt ausschließlich vorhandenes Licht für ihre analogen Aufnahmen mit einer einzigen Belichtung. Ohne die digitale Manipulation des Bildmaterials verwandelt sich die Kamera in den verlängerten Arm der Fotografin, die sich auf die Wahrnehmung und Beobachtungen der Gegenstände und Raumkonstellationen vor dem Objektiv konzentriert. Fotografieren ist für Friederike von Rauch ein langwieriger, konzentrierter Prozess, der sich als langsames Herantasten und als Aneignung herausstellt. Anders als bei Bernd und Hilla Becher wollen die Aufnahmen jedoch letztlich keine Realitäten dokumentieren. Denn in der Wahrnehmung der Details verdichtet sich eine entscheidende Abkehr von der Realität, die auch auf der Enteignung der dargestellten Situationen beruht.
Der neu erschienene Bildband „In Secret“ im Sieveking Verlag stellt Werkzyklen der Fotografin vor, die zwischen 2009 und 2013 entstanden sind. Er arrangiert sie zu einem Kompendium, das nicht als abgeschlossenes Archiv, sondern als offene Serie zu verstehen ist. Zeigen und Verbergen, Metaphysik und Hyperrealität kommen sich in dieser Werkszusammenstellung sehr nah. Auch das kann Architekturfotografie bedeuten.
Text: Sandra Hofmeister