Mehr Mut zum Experiment wünscht der Berliner Werner Aisslinger der heimischen Designlandschaft. Er selbst ist einer der wenigen deutschen Gestalter, die unbeirrt an Visionen arbeiten – und sie auch umsetzen. In H.O.M.E. erklärt er, warum Design auch hierzulande zum Kulturgut werden muss
Sie arbeiten für viele internationale Unternehmen. Was erwartet man von Ihnen als deutschem Designer?
Ich selbst sehe mich eher als internationales Gewächs. Trotzdem werde ich im Ausland oft in die deutsche Ecke gerückt und als Funktionalist ein- sortiert, der für die technische Raffinesse zuständig sein soll. Wenn ich beispielsweise in Italien einen Entwurf vorlege, kommt schnell der Einwand: „Aber Werner, du bist doch ein Deutscher, du bist für klare technische Konzepte zustandig!“ Schlage ich etwas in eine andere Richtung vor, so heißt es, das könne ja jeder – auch ein Italiener.
Dann wünschen sich Firmen im Ausland also von einem deutschen Gestalter funktionalistisches Design?
Italienische Unternehmen haben als Erste erkannt, dass es sinnvoll ist, die Marke und den Vertrieb international aufzustel- len, indem sie ein Sammelsurium internationaler Designer an Bord holen. Mit dieser Strategie ergeben sich in den einzelnen Ländern Anknüpfungspunkte für den jeweiligen Markt. Aber auch im Ausland, zum Beispiel in China, ist deutsches Produktdesign sehr beliebt. Neulich war ich in einem Elektronikkaufhaus in Qingdao. Dort gibt es eine Luxusabteilung, in der lauter deutsche Marken vertreten sind. Jeder Chinese träumt von diesen Produkten.
Trotz der Wirtschaftskrise steht Deutschland im europäischen Vergleich im Moment gut da. Wie wichtig ist der deutsche Markt Ihrer Erfahrung nach?
Sicher war Deutschland immer schon ein wichtiger Exportmarkt, auch wenn die USA und Asien heute für viele Unternehmen wichtiger sind. Durch die Wirtschaftskrise in Europa ist die Rolle Deutschlands als kaufkräftiges Land noch eklatanter geworden, wenn es um Verkaufszahlen geht. Deshalb erwartet man von einem deutschen Designer, dass er den Markt hierzulande kennt und ihn mit seinen Entwürfen eher anspricht.
Funktioniert das denn wirklich?
Unter uns gesagt: Ich glaube das nicht. Meine Vorschläge sind selten typisch funktional-deutsch. Es geht vielmehr darum, dass ein Entwurf in der internationalen Designwelt ein gutes Standing hat. Vielleicht kommen meine Ideen ein bisschen strenger und weniger blumig daher als etwa die von manchen französischen oder italienischen Designern. Aber so andersartig sind sie dann doch nicht. Auch die Endkunden sehen wahrscheinlich keinen Unterschied.
Sind deutsche Design-Traditionen wie der Funktionalismus oder die Ulmer Schule für Ihre Arbeit wichtig?
Natürlich zählt das Bauhaus zu unserer DNA, auch wenn mich Entwürfe wie der Freischwinger von Marcel Breuer nicht konkret in meiner Arbeit beeinflussen. Die Ulmer Schule finde ich schon spannender, obwohl sie eine extrem industriegläubige Gruppe war und mir etwas suspekt ist, wie sie dem Fortschritt huldigte. Trotzdem sind auf diese Weise hervorragende Projekte entstanden – Hans Gugelot zum Beispiel hat wirklich kultige Entwürfe wie „Bofinger 125“ vorgelegt . Dieses Möbelsystem ist für mich eines der schlauesten, die es in den 60er- und 70er-Jahren gab. Ich glaube schon, dass Ulm eine wichtige Entwicklung war, die heute immer noch nachwirkt.
Dieter Rams ist in den letzten Jahren durch Apple wieder bekannt geworden ...
Ich finde diese Renaissance wunderbar. 1981 hat die italienische Memphis-Gruppe versucht, das funktionale Design für beendet zu erklären, und ge- gen die Ulmer Schule gewettert, die bis nach Italien Wirkung gezeigt hat. Memphis hat sich gegen die graue und funktionale Welt aufgelehnt – und natürlich war das auch die Dieter-Rams-Welt, obwohl er selbst in meinen Augen genial war. In den 70er-Jahren jedenfalls war italienisches Design in puncto Innovation führend...
Interview: Sandra Hofmeister