Nach Jahren der Pandemie meldet sich die Hotellerie mit vielen Neueröffnungen zurück. Ihre differenzierten Konzepte für Raum und Atmosphäre sprechen spezielle Zielgruppen an, sie bekennen sich zu einer Haltung, die Hotels mit ihren Gästen teilen.
Text: Sandra Hofmeister
Hotel oder Pension? Die Wahl der Übernachtungsmöglichkeit war früher recht überschaubar. Heute aber haben Reisende oft die Qual der Wahl. Denn mit der Unterkunft entscheiden sie sich für einen temporären Way of Life, der zu ihrem Reisealltag passen sollte. Letztlich haben Phänomene wie AirBnB oder Couch Surfing der Hotellerie in den letzten Jahren nicht nur Konkurrenz gemacht, sondern sie auch zu neuen Wegen beflügelt. Aktuelle Hotelkonzepte sprengen die herkömmlichen Grenzen und lassen sich voll und ganz auf differenzierte Zielgruppen ein. Die Gestaltung spielt dabei eine besondere Rolle: Mit sorgfältig inszenierter Atmosphäre und spezifischen Raumangeboten können Hotels mehr bieten als nur ein Bett zum Schlafen. Sie vermitteln eine Lebenseinstellung, mit der sich ihre Gäste wohlfühlen und die sie im Idealfall teilen.
Hotel Fuchsegg Eco Lodge im Bregenzerwald, Foto: www.guenterstandl.de
Naturerlebnis in den Alpen
Hotels in den Alpen haben Tradition, und doch ist die Fuchsegg Eco Lodge im Bregenzerwald anders. Das neue Hotel liegt auf 1060 m Höhe inmitten der malerischen Landschaft Vorarlbergs. Ludescher + Lutz Architekten haben die 30 Wohneinheiten und die Gemeinschaftsräume für Urlaubs- und Seminargäste nicht als monumentalen Hotelriegel vor der Bergkulisse konzipiert, sondern als Ensemble aus sechs eingeschossigen Satteldachhäusern, die behutsam in die Natur integriert sind. Vorbild war der nahegelegene Vorsäss Eggartsberg. Diese Siedlungen im alemannischen Alpenraum bestehen aus Ställen und einfachen Häusern, die lose verstreut und im Sommer bewohnt sind. Dann nämlich nutzen die Bauernfamilien mit ihrem Vieh die Gebäude als temporäre Zwischenstation, um später auf die höher gelegene Alpe weiterzuziehen. "Wir möchten mit der Eco Lodge auch einen baukulturellen Beitrag leisten", sagt die Hoteleigentümerin Carmen Can und erläutert das Unterkunftsprinzip mit einzelnen Gästehäusern inmitten der Natur. Ökologie und Naturerlebnis sind zentrale Aspekte, die sie im Fuchsegg ganzheitlich umsetzen wollte, auch in einer nachhaltigen Architektur und Bauweise. Das Konstruktionsholz der Holzhybridbauten stammt aus den umliegenden Wäldern. Die Innenräume sind mit sägerauer regionaler Weißtanne vertäfelt, die Böden aus Lehmkasein und die Möbel aus unbehandeltem samtigem Ahorn oder mit nachhaltig gewonnenem Kork überzogen. Zentrale Drehscheibe des Hotels ist das große Gasthaus. Es nimmt zwei Stuben für Hotel- und Tagesgäste sowie Gemeinschaftsräume auf und schirmt die weiteren Gebäude von der Straße ab. Die Seminarräume unter dem Dach öffnen sich auf einen Schopf, wie die überdachte Veranda in der regionalen Baukultur genannt wird. In den beiden benachbarten Gebäuden befinden sich die Sauna und die Tenne, in deren unbeheizten Räumen das Brennholz gelagert und Fahrräder abgestellt sind. Die Gästeeinheiten sind auf drei weitere Häuser verteilt und unterschiedlich geschnitten: Als Chalets mit eigenem Eingang und Küche, als klassische Doppelzimmer oder als großzügige Lofts mit eigenem Kamin. Aus den Fenstern, vor denen drehbare Holzlamellen als Sonnenschutz angebracht sind, fällt der Blick in die Landschaft, die in all ihren Facetten erlebbar wird. So führt der Weg der Hotelgäste ins Hauptgebäude über die Bergwiese zwischen den Häusern - egal bei welchem Wetter. Auch das gehört mit zum Konzept.
Hotel Wilmina, Grüntuch Ernst, Photo: Patricia Parinejad
Ruhige Oase inmitten Berlins
Der Natur ist das Hotel Wilmina in Berlin ebenso verpflichtet, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Die ruhigen Gästezimmer liegen fernab vom lauten Stadttrubel und doch mitten in Charlottenburg. Grüntuch Ernst Architekten haben den denkmalgeschützten historischen Backsteinbau des ehemaligen Frauengefängnisses in eine ruhige Oase transformiert. Üppige Gärten mit Kletterpflanzen und Hecken prägen die Hofstruktur und Atmosphäre im Inneren des Häuserblocks der Kantstraße 73. Hotelgäste durchqueren das straßenseitige ehemalige Gerichtsgebäude - es wurde ebenfalls saniert und dient heute als Kultursalon - und betreten mit dem Hotel eine private und einladende Welt. Die sorgfältige und behutsame Sanierung der Architekten, die das Hotel auch betreiben, verwandelt den ehemaligen Zellentrakt in ein kontemplatives Refugium. Grundelemente der früheren Nutzung bleiben sichtbar und sind in den Betrieb integriert. Das zentrale fünfgeschossige Atrium führt zu den Zimmern, deren Anordnung das Prinzip der aneinandergereihten Zellen sichtbar lässt. Heute sind im Gebäude 44 Gästezimmer untergebracht, die Bandbreite reicht von kleinen Schlafkojen mit 11 m2 bis zum Loft im ehemaligen Versammlungsraum mit 75 m2. Jedes Zimmer ist als Unikat gestaltet, helle und freundliche Farben sowie weiche Texturen prägen die unaufgeregte Atmosphäre. Um mehr Licht nach innen zu lenken, wurden die Maueröffnungen nach unten erweitert. So beeinträchtigen die Gefängnisgitter im oberen Fensterteil den Blick in den Hof nicht mehr. Im aufgestockten Dachgeschoss befinden sich Penthouse-Suiten mit bodentiefen Panoramafenstern und Terrassen, die den Blick über die Dachlandschaft schweifen lassen. Das sorgfältige Umnutzungskonzept von Grüntuch Ernst Architekten setzt auf den Dialog mit der Geschichte, die in einer Zelle im Originalzustand am hinteren Treppenhaus noch hautnah erlebbar ist.
Großstadteklektizismus
Geschichte und Gegenwart sind auch die Leitmotive eines weiteren Berliner Hotels, das im September 2022 in einer Parallelstraße zu Unter den Linden eröffnete. Das Château Royal - so der Name, den das Eigentümertrio aus dem Umfeld des Restaurants Grill Royal wählte - zeigt sich als eklektische Welt für Kosmopoliten und kunstinteressierte Großstadtbummlerinnen. Kunst und Gastronomie, Stil und Berlin-Flair finden sich im Gestaltungskonzept für die Innenräume wieder, das Irina Kromayer mit Etienne Descloux und Katariina Minits als bourgeois-bohemien Kosmos umgesetzt haben. Die Bauzeit des Bestands, der von David Chipperfield Architects Berlin saniert und umgebaut wurde, nahm das Trio zum Anlass, Reminiszenzen der Gründerzeit aufzunehmen und mit Referenzen aus den 1920er-Jahren sowie zeitgenössischen Materialien und Möbeln zu mischen. Die 67 Zimmer, 26 Suiten und das Apartment samt den öffentlichen Bereichen des Hotels sind in einem gelungenen Mix aus Alt und Neu gehalten, der sich wie selbstverständlich zu einem ebenso bodenständigen wie wertigen Setting fügt. Gussasphalt und glasierte Ziegel, Craquelé-Fliesen und Dallglaswände lösen sich mit neuen Möbelentwürfen und Vintage-Fundstücken ab. Außerdem wurden mehr als 100 Kunstwerke im gesamten Haus verteilt - von der Neonarbeit Karl Holmqvists in der Küche bis zu den Tapeten von Thomas Demand für Gästezimmer und den Kaminraum. "Die Gäste sollen sich wohlfühlen und sich gar nicht erst fragen, aus welcher Zeit was stammt", meint Irina Kromayer. "Unsere Zielgruppe schätzt einen schönen Stuhl im Hotelzimmer mehr als einen großen Flatscreen."
Hipster-Buden am Prater
Der Kontrast vom Château Royal zur Superbude in Wien könnte nicht größer ausfallen, das zeigen schon die Namen: Während sich das Berliner Hotel ironisch als königliches Schloss tituliert, macht sich die Superbude in der Kaiserstadt Wien absichtlich klein und setzt auf Jugendslang. Die Zimmer heißen "Buden", Gäste des Hotels am Prater sind junge Hipster und solche, die gerne jung und hip sein wollen. Touristen, Geschäftsreisende und Familien, die hier übernachten, werden schon auf dem Gehsteig mit Rap aus versteckten Lautsprechern empfangen. Von der Lobby bis ins Teppenhaus und hinauf in den siebten Stock zum Restaurant Neni begleiten sie die Tracks - alles mega. Das neue Hotel ist eine Filiale der gleichnamigen Kette aus Hamburg und doch eigenständig, es fasst 178 Zimmer in 17 Kategorien in einer Mischung aus Hotelkomfort und Hostel-Atmosphäre. So zeigt sich die Doppelbude im Glamping-Look, die Vogelbude bietet einen rasanten Ausblick auf die Achterbahn, außerdem gibt es eine Disco-Bude für bis zu fünf Personen, die gerne laut Musik hören. Für die Gestaltung dieses wilden Abenteuers sind die jungen Designer Laura Krasinki und Gerd Zehetner von Archiguards aus Wien verantwortlich. Ihr Konzept setzt auf schrille Farben und Graffiti-Sprüche, auf Überraschungsmomente und Flohmakt-Fundstücke. Die Lobby wird als Veranstaltungsraum mit Bühne genutzt. Die Besprechungssäle im Haus können auch als Karaoke-Setting dienen, und abends kann die Party ins Restaurant Neni im siebten Stock verlagert werden: Dort serviert ein Team der berühmten Wiener Köchin und Unternehmerin Haya Molcho ostmediterrane Speisen und gute Laune. Und der Blick vom Dachgeschoss durch die Glasfassade auf den Prater ist natürlich ebenso: einfach nice.
Ganzer Beitrag und englische Version: Detail 3.2023