Leuchtendes Glas

 

In den Werkstätten der Mayer’schen Hofkunstanstalt in München finden Tradition und Hightech zueinander

Wie ein großes Puzzle setzen die Mosaizisten in der Mayerschen Hofkunstanstalt große, schillernde Bilder zusammen – aus tausenden von Smalten, Farbnuancen, verschiedenen Smalten und Glaskuchen, der in die passende Form gebrochen wird. Konzentriert sitzen sie um den zentralen Werktisch in ihrem Atelier – die bunten, handgeschlagenen Glassteine vor sich ausgebreitet – und werfen ab und an einen kurzen Kontrollblick in einen der Spiegel, die über dem Tisch von der Decke hängen. Nur ihr wird der Umfang des großen Mosaiks ersichtlich.

Die Mayer’sche Hofkunstanstalt zählt weltweit zu den ersten Adressen für Mosaiken und Glasverarbeitungstechniken wie Floatglasmalerei, digital bedrucktes Schmelzglas, handbemalte Kirchenfenster und vieles mehr. Künstler wie Kiki Smith und Georg Baselitz kommen in die Werkstätten nach München, um die Umsetzung und Details ihrer Entwürfe zu besprechen, die hier Gestalt annehmen. Architekten wie Alsop und Allmann Sattler Wappner greifen auf die kompetenten Werkstätten für ihre Projekte zurück. Schon seit mehr als hundert Jahren sind die Glaskunstwerke aus München über den ganzen Globus verteilt und zum Beispiel in St. Peter in Rom, in der Foster-Pyramide im kasachischen Astana, in den Hallen des Miami International Airport oder im St. Hedwig-Krankenhaus in Berlin zu sehen. Erst kürzlich wurde in Metro-Station des Gare St Lazare in Paris eine rund zwanzig Quadratmeter große Installation der kanadischen Künstlerin Geneviève Cadieux eingeweiht. „La Voix Lactée“ heißt das photorealistische Mosaik und zeigt einen riesigen Mund, der aus 200.000 Glassmalten zusammengewürfelt ist.

„1905 haben wir ein Fenster im Petersdom neu gestaltet und damals den sogenannten ‚Munich style’ geschaffen, der in der katholischen Kirche von Bombay bis nach Südamerika ein Begriff ist“, sagt Gabriel Mayer, der sich heute mit seinem Sohn Michael die Geschäftsleitung teilt. Seit nunmehr fünf Generationen lenkt die Familie die Geschicke des Traditionsunternehmens und hat sich neben traditionellen Techniken wie handbemalte Bleiglasfenster längst auch auf digitale Drucke, auf Float-Glasmalereien und andere aufwendige Verfahren spezialisiert, die hohen thermotechnischen Standards gerecht werden. Ursprünglich wurden die Werkstätten am Münchner Stiglmaierplatz 1847 mit dem Ziel gegründet, die bildenden Künste Architektur, Bildhauerei und Malerei nach dem Vorbild mittelalterlicher Bauhütten zu vereinigen. Auf Skulpturen für Kirchenaltäre spezialisiert, nahm das Unternehmen schon bald auch die Glasmalerei mit ins Programm auf. König Ludwig II. verlieh dem Institut 1882 den Titel „Königlich Bayerische Hofkunstanstalt“ und noch im selben Jahr wurde die erste Niederlassung in New York gegründet, wo sich bis heute ein Büro der Mayer’schen Hofkunstanstalt befindet. Um 1900 waren in den Werkstätten in München 500 Mitarbeiter beschäftigt. Nach dem Krieg blieb nur noch ein Seitenflügel des großen Firmengeländes, das in den 1920er-Jahren von Theodor Fischer erbaut worden war und heute inmitten der umliegenden Neubauten wie ein denkmalgeschütztes Relikt vergangener Zeiten wirkt. Labyrinthartig verteilen sich Räume und Gänge des Firmensitzes auf insgesamt fünf Stockwerken bis unters Dach zu den Künstlerwohnungen. Etwa vierzig Mitarbeiter arbeiten heute in der Hofkunstanstalt – an den großen Leuchttischen der Float-Glaswerkstatt im Hinterhof, in der Bleierei oder im Atelier der Glasmaler. Neue Technologien und alte Handwerkstraditionen finden hier reibungslos zusammen, werden neu kombiniert und weiterentwickelt.

„Als Kunstwerkstätte können wir Vorreiter für industrielle Gestaltungen sein“, meint Senior Gabriel Mayer. Die Schmuckstücke der Mayer’schen Hofkunstanstalt sind Einzelwerke und Sonderanfertigungen. Dass historische Werke dabei genauso ernst genommen werden wie Zeitgenössisches, ist in der Tradition des Unternehmens ebenso selbstverständlich wie die Ausbildung in einzelnen Handwerksberufen. Die Glasmaler bearbeiten zur Zeit historische Mayer-Fenster aus den 1920er-Jahren, die aus Texas zurück nach München zur Restaurierung kamen. Und in der großen Ausstellungshalle, die sich über drei Stockwerke ausdehnt und mit einem riesigen Atelierfenster auf den Hof öffnet, sind bereits die ersten Fragmente einer 120 Quadratmeter großen Glasdecke für den Assembly-Saal des Senats in Albany zu sehen. Schon bald sollen die Einzelteile in die USA verschifft werden.

Nicht alle Gläser, die in der Mayer’schen Hofkunstanstalt entstehen, sind farbig. Trotzdem bringen die bearbeiteten Flächen Farb-, Licht- und Schattenspiele auf beeindruckende Weise und in unterschiedlichen Transparenzgraden zusammen. Aus Architektensicht liegt die Kunst darin, die Glasflächen stimmig in ein umfassendes Konzept sowie in Fassaden oder Innenräume zu integrieren. Nach verschiedenen Wellen des Ressentiments gegenüber Farbe, scheint die Zeit nun endlich wieder da zu sein, diese Gestaltungsoption und mit ihr den Mut zum Ornament wieder anzugehen. Die Mayer’sche Hofkunstanstalt ist auch in dieser Hinsicht ein Vorbild, weil sie an Handwerkstraditionen anknüpft und sie mit zeitgenössischem Hightech kombiniert.

Text: Sandra Hofmeister
Foto: Sandra Hofmeister

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