Peter Zumthors Gespür für Architektur
Der Schweizer Architekt Peter Zumthor ist einer der renommiertesten Baukünstler unserer Zeit. Seine Gebäude sprechen die Sinne an und lassen sich auf einen Dialog mit ihrer Umgebung ein – am Rhein oder an der Kama, im norwegischen Vardø oder in Andelsbuch im österreichischen Vorarlberg. Dort hat Peter Zumthor kürzlich sein jüngstes Projekt verwirklicht – das Werkraumhaus. Ein Gespräch mit dem Architekten in seinem Atelier in Haldenstein.
Ihre Projekte entstehen an recht unterschiedlichen Orten – im Bregenzer Wald, in Kalifornien, an der Kama oder hoch im Norden Europas. Wie kann man beim Entwerfen erfassen, was diese Orte ausmacht?
Peter Zumthor: Das ist nichts Besonderes. Ich mache mir einen ersten Eindruck vor Ort, nehme Beschaffenheiten
wahr und registriere, was mir gefällt und was nicht. Dann strukturiere ich meine Beobachtungen, damit die formalen Regeln erkennbar werden. Das ist das kleine Alphabet jedes Architekten. Wichtig ist in meinen Augen die uneingeschränkte Freude und Neugierde, Orten zu begegnen. Ich selbst bin ein Fan von Orten, immer begeisterungsfähig und wissensdurstig. Beim Anschauen lernt man letztlich auch sehr viel. Alle Leute sind, glaube ich, so wie ich.
Ihre Projekte reagieren nicht nur auf die Topografien oder urbane Umgebungen, sondern auch auf ihren kulturellen Hintergrund. Wie entsteht dieser Zusammenhang?
Peter Zumthor:Gebäude sind Teile von Orten, und jeder Ort hat eine Geschichte. Es geht also nicht nur um das Baugrundstück selbst und seine sichtbare unmittelbare Umgebung, sondern darüber hinaus um größere Kulturräume. Jedes Gebäude ist Teil dieses Gefüges, und je nachdem, welches Mineral man zur vorhandenen Mischung hinzufügt, reagiert die Gesamtheit entsprechend darauf. Das ist die Arbeit am und für den Ort. Das formale Analysieren ist für mich beiläufig angesichts des kulturellen und biografischen Verständnisses dessen, was man sieht – Stimmungen, die man aufnimmt, Bedeutungsschichten, die sich daraus ergeben, und vieles mehr.
Dann geht es also beim Entwerfen auch um emotionale Werte?
Peter Zumthor:Es geht in erster Linie um emotionale Aspekte! Schließlich interessiere ich mich nur für die Dinge, die mich berühren, und nur mit diesen Dingen möchte ich arbeiten. Ich bin regelrecht auf der Suche nach Berührungen.
Kürzlich haben Sie ein Denkmal in Finnmark, der nördlichsten Region Norwegens errichtet. Wie nähert man sich solch extremen Orten an?
Peter Zumthor: Das Steilneset Memorial to the Victims of the Witch Trials in Vardø liegt nördlich des Polarkreises und hat eine besondere Geschichte. Ich arbeite generell mit Geschichten, man muss sie spürbar machen durch die Architektur. Schon bei den ersten Modellen ist deshalb der Bezug zum Ort wichtig. Dieser Bezug fällt von Projekt zu Projekt unterschiedlich und anders aus. Wir erarbeiten ihn in einer Art künstlerischen Herangehensweise. Dabei ist die vorhandene Mixtur unser Ausgangsmaterial. Zu ihr kippen wir etwas hinzu, das dann einen Widerhall oder einen Klang erzeugt. Ich halte das für entscheidend, damit sich Gebäude in ihrer Umgebung und ihrer Kultur verankern.....
Interview: Sandra Hofmeister
Foto: Kerstin Joenssen/www.picturedesk.com