Der Berliner Designer Werner Aisslinger versteht sich als Seismograf, der auf Zeitströmungen reagiert.
Mit Schutzjacke und Bauhelm auf dem Kopf huscht Werner Aisslinger durch die Sicherheitsschranke. Dann eilt er an mehreren Baucontainern vorbei und lotst mich in einen großen provisorischen Lastenaufzug. Wir sind auf der Baustelle im des 25hours Hotel Bikini Berlin. Noch ist kaum zu erahnen, wie die 149 Hotelzimmer einmal aussehen sollen, doch Werner Aisslinger sieht alles schon genau vor sich. Er ist für das Design des Hotels im revitalisierten Bikini-Areal an der Gedächtniskirche, im Herzen Westberlins, verantwortlich. Im Januar soll das ungewöhnliche Etablissement in dem kleinen 50er-Jahre Hochhaus an der Budapester Straße – einer architektonischen Ikone des Wiederaufbaus und des Optimismus der Nachkriegsära – seine ersten Gäste empfangen.
Im 10. Stock angekommen setzt Aisslinger seinen hastigen Parcours fort. Er weicht einem Stapel mit Rigipsplatten aus, wechselt hier und da ein kurzes Wort mit einem der vielen Handwerker, springt über eine Absperrung und findet schließlich einen Durchgang zur Dachterrasse. Endlich angekommen! Der Wind pfeift über den Dächern Berlins, zwischen einzelnen Wolken blitzt die Sonne hervor. Aisslinger hält abrupt inne. Er bleibt stehen und lässt seinen Blick in die Ferne schweifen – über die Gedächtniskirche, die Häuser am Ku’ Damm und das grüne Areal gleich hinter ihm: das Gelände des Berliner Zoo. Inmitten dieses Großstadtdschungels ist der Designer in seinem Element. Hier entwickelt hier seine Ideen, sammelt Beobachtungen und erkundet Gewohnheiten, die er in seinen Entwürfen aufgreift. „Designer sind Seismografen, sie interpretieren Strömungen und Bewegungen“, sagt er. „Und diese Zeitphänomene liest man am besten in Städten ab“. Auch Berlin kommt ihm dabei schon recht klein vor. „Eigentlich müsste man in Shanghai oder Tokio leben“, meint er. Seit einigen Jahren hat Werner Aisslingers Berliner Studio eine kleine Depandance in Singapur.
Das Leben als Collage
Ein trendiges Riemenfahrrad wird in jedem Hotelzimmer im Bikini Areal an der Wand hängen. Mit ihm können die Gäste schnurstracks in den Aufzug und dann vorbei an der Rezeption in den Berliner Großstadtdschungel aufbrechen. Im Restaurantbereich im 10. Stock wird ein großes altes Gewächshaus stehen, in dem die Urban Farmer von Prinzessinengarten Gemüse und Kräuter anpflanzen. Hängematten sollen vor den raumhohen Fenstern der Hotelzimmer zur Zoo-Seite baumeln und in der Lobby ist eine Bäckerei geplant, die hinter einem Tresen mit alten, türkisfarbenen Kacheln vom U-Bahnhof Alexanderplatz frisches Bort für die Gäste backt. Das Hotel wird eine Anlaufstelle für urbane Hipster und Großstadtnomaden. Eine wilde und unkonventionelle Mixtur aus alten sowie neuen Möbeln, heterogenen Zonen und unterschiedlichen Raumarrangements. „Berlin ist eine Stadt, in der es kunterbunt zugeht. Wir versuchen, das Großstadtleben in das Hotel hereinzuholen. Wir wollten keine einheitliche Designsoße über alles gießen“, so der Gestalter des unkonventionellen Universums. Werner Aisslinger entwickelte eine Lebenswelt, die seinen eigenen Erfahrungen und seinen Visionen entspricht. „Das Leben ist nicht einseitig. Es ist eine bunte Collage.“
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Text: Sandra Hofmeister