Die Bauten des 49-jährigen David Adjaye suchen den Dialog zwischen den Menschen. Dabei ergänzt der Architekt den Architekturdiskurs um eine Stimme aus Afrika, wie eine Ausstellung in München zeigt.
Wie eine Festung schottet sich das Dirty House von seiner Umgebung im Nordosten Londons ab. Die Ziegelfassaden des kubischen Baus sind anthrazitgrau, fast schwarz. Ein weisses Flachdach schwebt über dem zweiten Stock und hebt sich klar von dem dunklen Volumen ab. David Adjaye entwarf das ungewöhnliche Wohn- und Atelierhaus für seine Freunde, die beiden Künstler Tim Noble und Sue Webster. Nachdem er sein Studium am Royal College of Art in London abgeschlossen hatte, galt der ghanesisch-britische Architekt in den späten 1990er Jahren als Mann der Stunde: Er konzipierte die Lebens- und Arbeitsräume seiner Studienfreunde, die sich damals eine Existenz als Künstler aufbauten. So entstanden starke architektonische Statements wie das poetische Elektra House, das harte Dirty House oder das Lost House. Von aussen wirken sie wie rätselhafte Objekte, innen jedoch überraschen helle und lichte Räume.
Europa und Afrika
Diese frühen Londoner Projekte werden nun in der Ausstellung «David Adjaye: Form, Gewicht, Material» im Haus der Kunst in München zusammen mit weiteren Bauten in Ghana und Trinidad, den USA und China anhand von Modellen, Plänen und Fotos präsentiert. Dabei wird das Gesamtwerk des heute 49-Jährigen aus gesellschaftspolitischer Perspektive erfasst. Die beiden Kuratoren Okwui Enwezor vom Haus der Kunst und Zoë Ryan vom Art Institute of Chicago sehen in Adjaye einen Vermittler zwischen den Kulturen. Sie interpretieren seine Bauten als Patchwork, in dem sich europäische und afrikanische Traditionen auf Augenhöhe begegnen – erstmals überhaupt in der Architektur. Im Katalog zur Ausstellung beschreibt Enwezor den Architekten als längst überfällige, postkoloniale afrikanische Stimme im Architekturdiskurs. Mit ihr werde die Hegemonie der älteren westlichen Architektengeneration, die den Architekturbegriff bisher geprägt habe, endlich abgelöst.
David Adjaye wurde 1966 als Sohn eines ghanesischen Diplomaten in Tansania geboren. Er wuchs in mehreren afrikanischen Ländern und im Mittleren Osten auf, bevor er als Teenager nach London kam und schliesslich Architektur studierte. Im Jahr 2000 gründete er dort sein heute 70 Mitarbeiter zählendes Büro mit Dépendancen in New York, Berlin und in Ghanas Hauptstadt Accra. Nach mehreren Reisen durch Afrika gab der Architekt 2011 eine Studie zur Architektur in 52 afrikanischen Hauptstädten heraus. Sein Buch «African Metropolitan Architecture» ist ein Kompendium an Beobachtungen, festgehalten in eigenen Fotos. War der Beginn des Projekts autobiografisch motiviert – Adjaye wollte die Orte seiner Kindheit besuchen –, so wurden die Ergebnisse der Bestandsaufnahme schliesslich zu einer Folie für ein generelles Verständnis von Architektur.
Klima und Kontext, Licht und Schatten sind Parameter, auf die Adjayes Häuser sorgfältig abgestimmt sind – egal, wo und mit welchen Materialien sie errichtet sind, und unabhängig von ihrer Bestimmung als Sozialwohnungen oder luxuriöse Einfamilienhäuser. Dass es dabei zu völlig unterschiedlichen Lösungen kommen kann, überrascht angesichts der unterschiedlichen Budgets und Standorte in Indien oder Israel, Deutschland oder Nigeria und vielen anderen Ländern nicht. «Suitcase»-Architekten nennt der Theoretiker Ken Tadashi Oshima die Architektengeneration, der auch Adjaye angehört. Permanent unterwegs, passieren diese Baukünstler soziale sowie politische Grenzen und etablieren eine Art Architekturdiplomatie zwischen den Kontinenten.
Mehr als 45 geplante und realisierte Projekte von David Adjaye werden in München vorgestellt. Das spannendste Kapitel der klar konzipierten Ausstellung fasst Entwürfe unter dem Stichwort «Demokratie des Wissens» in einem eigenen Saal zusammen. Fotos und Videos, Pläne und Modelle dokumentieren die öffentlichen Gebäude. Fassadendetails im Massstab 1:1 lassen ihre Dimensionen erahnen und geben den Besuchern einen Eindruck konkreter Materialwirkungen – beispielsweise der schwarz glitzernden Rosen auf den grossformatigen Fertigbetonelementen des Sozialwohnblocks «Sugar Hill» in Harlem, New York. Zusätzlich geben kleinere Schwarz-Weiss-Fotografien Einblicke in Grundüberlegungen des jeweiligen Entwurfs. Sie zeigen die unmittelbare Umgebung der Projekte – beispielsweise die bunten Märkte im Londoner East End. Die Farben und Rhythmen ihrer Stände übernahm Adjaye in der Glasfassade seiner «Idea Stores» und setzte so in einer Gegend mit sozialen Spannungen auf die Identifikation der Menschen mit seinen neuen Stadtteilzentren. Ausserdem geben Diagramme und Zeitungsausschnitte Hinweise zu gesellschaftlichen und politischen Hintergründen. Den Kuratoren und dem Architekten ist es dank diesen «Storyboards» einigermassen gelungen, die Geschichten zu jedem Gebäude anschaulich zu vermitteln. Bei den Masterplänen, die Adjaye in den letzten Jahren entwarf, greift diese Methode jedoch zu kurz. So bleiben viele Fragen offen bei den gigantischen Superblocks und Strassenschneisen, die auf den Renderings und Plänen für ein Regierungsviertel in Libreville, Gabon, oder ein Stadtviertel in Kampala, Uganda, zu sehen sind.
Räume und Menschen
Nicht der besondere Stil ist für David Adjaye massgeblich, es geht dem Architekten vielmehr um Räume – und um Menschen. Seine architektonischen Formen sollen alle Kulturen ansprechen – Hindus und Muslime, Christen, Juden und Buddhisten. Die Grundrisse seiner Bauten sind so organisiert, dass die Besucher mit einladenden Gesten empfangen werden, etwa mit Empfangsräumen, die wie öffentliche Wohnzimmer wirken. Er versuche als Architekt Menschen zusammenzubringen, meint Adjaye. Viele seiner Gebäude stehen in Stadtvierteln mit hoher Arbeitslosigkeit und bündeln soziale Aufgaben, sie schaffen Platz für Workshops, Seminare und Bildungseinrichtungen. Auch mit den beiden mit knappem Budget realisierten Bibliotheken in Washington DC, die 2012 nach kurzer Bauzeit eröffnet wurden, entstanden für die Bewohner des Viertels neue Perspektiven.
Zwar sind der unmittelbare Kontext und die Umgebung wichtige Referenzen für Adjayes Entwürfe, doch es geht dem Architekten um regionale und globale Dimensionen. Am sinnfälligsten ist dies beim National Museum of African American History and Culture, das nächstes Jahr auf dem letzten freien Grundstück der National Mall in Washington DC eröffnet werden soll. An der städtebaulich und symbolisch herausragenden Position am Washington Monument entsteht ein Gebäude, dessen zeichenhafte Form an eine archaische Krone erinnert und aus goldgemusterten Aluminiumpaneelen zusammengesetzt ist. Die Inspiration zu dieser Struktur kam Adjaye von den Skulpturen des westafrikanischen Künstlers Olowe von Ise. Er transponierte seine Formfindungen auf den grossen Massstab des Projekts, das die Bedeutung der Black Community für die USA würdigt. Zeitgleich mit dem Projekt in Washington realisiert Adjaye in Cape Cost an der Küste Ghanas ein weiteres Museum, das der Geschichte Afrikas gewidmet ist. Das Slavery Museum steht an einem exponierten Bauplatz gleich neben der Burg in Cape Cost. Von hier aus wurden Millionen von Afrikanern als Sklaven in die Neue Welt verschifft. Durch den Atlantik getrennt, werden sich die beiden Museumsbauten in den USA und in Ghana gegenüberstehen – wie zwei Seiten ein und derselben Geschichte. David Adjaye findet für diese Geschichte an beiden Orten eine architektonische Sprache. Genau das zeichnet den postkolonialen Hintergrund seiner Bauten aus.
Text: Sandra Hofmeister
Bis 31. Mai in München, anschliessend im Art Institute of Chicago. Katalog: Adjaye: Form, Heft, Material (engl.), Hrsg. Zoë Ryan, Okwui Enwezor. The Art Institute of Chicago, Chicago 2015. 296 S., € 39.–.
Text: Sandra Hofmeister