Schnittmuster à la Prouvé

Viel Denim gab es nicht zu sehen. Wer eine Modenschau mit Möbeln und Magnus Carlsen, dem norwegischen Schachgenie und Werbeträger von G-Star Raw, erwartet hatte, der wurde enttäuscht. Dafür kommen Design-Liebhaber bei der aktuellen Zusammenarbeit des niederländischen Jeans-Labels mit Vitra umso mehr auf ihre Kosten: So viel wunderbaren Jean Prouvé, sorgfältig und mit nur wenigen Eingriffen reinterpretiert, gab es noch nie. Siebzehn Einzelstücke – darunter Sitzmöbel, Tische, Leuchten, Wandschirme und Stauraummöbel – zeigen eine kleine aber feine Kollektion, in der sich die charakteristische Ästhetik der Prouvé'schen Möbel eindringlich verdichtet.

„Im Grunde ist es eine Hommage an Jean Prouvé", meint Eckart Maise, Leiter des Design Managements von Vitra. Insgesamt zwei Jahre haben die Entwicklungsabteilungen der beiden Unternehmen an der Reinterpretation von Entwürfen des 1984 verstorbenen Architekten und Designers gearbeitet. Auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein zeigen sie nun das Ergebnis dieser Kooperation. Die Special Edition „Prouvé Raw" lässt das Möbeluniversum des Autodidakten und Konstrukteurs lebendig werden. Sie verpasst den Möbeln Prouvés – in der Sprache der Mode ausgedrückt – einen neuen „Look", ohne die ursprünglichen Entwürfe dabei allzu sehr zu verfremden. Vielmehr betont die Reinterpretation die Tektonik und Konstruktion der Möbel und zeigt ihre ästhetische Stringenz, in der auch ein übergreifendes, architektonisches Prinzip – man denke etwa an Prouvés Fertigbauhäuser – sichtbar wird.

Neu an den vorgestellten Möbeln sind einige Materialien, Farben und Stoffe, mit denen sich beispielsweise der „Fauteuil de Salon" oder das Tagesbett „Lit Flavigny" als nüchterne Alltagsobjekte präsentieren: Helle Stoffbezüge, geräucherte und geölte Eiche sowie grau lackiertes Formstahlblech unterstreichen die Kontraste und betonen das gekonnte Zusammenspiel von Formen – die von bei der Nutzung auftretenden Kräften abgeleitet sind – sogar noch stärker, als dies bei den Originalen mit rot lackiertem Blech der Fall war. Die traktorensitzartige Schale des Hockers „Tabouret No. 307" wurde in der Edition nicht aus Blech, sondern aus Kunststoff gefertigt – eine Veränderung, die im Sinne der Materialgerechtigkeit zeitgenössische Standards einsetzt. Auf dem „Table S.A.M. Tropique" thront eine gebürstete Edelstahlplatte, die sich im Gegensatz zum lackierten Blech der Prouvé-Originale zu einem schlichten Raw-Charakter bekennt.

Alles in allem konkretisiert die Reinterpretation – dank der unaufgeregten Eingriffe, die sich an den Originalentwürfen orientieren –, ein kluges Design, das weder G-Star noch Vitra in Szene setzt, sondern sich unumwunden zu Jean Prouvé als Hauptakteur bekennt: Er ist der eigentliche Star dieser Kooperation zwischen zwei ungleichen Partnern. Für G-Star ist das Projekt nur eines von mehreren Crossover-Projekten der letzten Jahre und für Vitra gewagtes Neuland. Die Prouvé Special Edition zeigt, dass Mode und Möbel auf wunderbare Weise zusammenpassen, wenn nicht Marken und Marketing, sondern das Produkt im Zentrum steht.

Bleibt also letztlich die Frage, wo bei soviel Prouvé der Vorteil der Kooperation für die beiden Unternehmen liegt? Für das G-Star-Team mag dies die proklamierte „new energy" für das Design-Team sein, mit dem sich das Unternehmen immer wieder in Bereiche jenseits der Mode einmischt und seinen Sachverstand für Jeans offenbar in völlig unterschiedlichen Feldern schult. Für Vitra – das Schweizer Unternehmen besitzt die Generallizenz für alle Prouvé-Möbel – bieten sich mit der Re-Edition, die in Zusammenarbeit mit der Familie Prouvé entstand, klare Perspektiven. Denn bislang entpuppten sich die schönen Möbel des französischen Konstrukteurs im Sortiment von Vitra, etwa der „Standard"-Stuhl, eher als Insider-Tipp für Connaisseure denn als Verkaufsschlager. Nun ist mit der Edition noch keine Serienproduktion besiegelt, doch das Verständnis von Prouvé sollte sich von Einzelstücken auf einen Kollektionsgedanken verlagern. Insgesamt neun der siebzehn Produkte aus der Special Edition Prouvé Raw werden in limitierter Auflage und zeitlich begrenzt bis Ende nächsten Jahres in den Verkauf gehen. Der Kreis der Prouvé-Liebhaber sollte sich dadurch vergrößern. Und die Pariser Galerien, welche die raren Originale zu Höchstpreisen verkaufen, müssen sich auf Konkurrenz gefasst machen.

 

Text: Sandra Hofmeister

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Dr. Sandra Hofmeister

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