Wohnblöcke aus Spargel

 Terunobu Fujimori in München

Über dem Zeltdach des Münchner Olympiazentrums schwebt eine riesige Banane, die wie eine Hängematte zwischen zwei gigantischen, kahlen Baumstämmen hoch oben in der Luft baumelt. Grüne Spargelstangen mit kleinen Fenstern türmen sich daneben auf und auf der Plattform einer monströsen, aufgeschnittenen Süßkartoffel landen die Helikopter. Terunobu Fujimoris postapokalyptische Vision für die bayerische Landeshauptstadt zeichnet ein recht prägnantes Bild. München wird zur Gemüsestadt! Die Natur hat den urbanen Raum erobert und ist zur gebauten Lebensform gewachsen – mit einem Bananentheater, Spargelwohnblöcken und einer Zwiebelschule. „In hundert Jahren, wenn es nichts mehr zu essen gibt, können wir wenigstens unsere Häuser essen“, meint der Japaner in seiner ruhigen, gelassenen Art und bittet schmunzelnd darum, keine Detailfragen zu dieser Vision zu stellen.
Terunobu Fujimori ist Architekt und Architekturhistoriker, Querdenker und Surrealist. Die Häuser und die imaginären Welten des 65-jährigen zeichnen Träume nach, in denen sich Archaik und Zukunft begegnen. Die Sehnsucht nach der Natur und einer mysteriösen Ebene jenseits von ihr sind die meditativen Leitlinien für Fujimoris ungewöhnliches Werk. Erst im Alter von 44 Jahren kam der renommierte Wissenschaftler ohne jede praktische Erfahrung zum Bauen und Entwerfen, seine bislang realisierten Häuser stehen allesamt in Japan. Für die Münchner Villa Stuck kuratierte Hannes Rössler nun die erste große Werkschau in Europa.
Staksige Baumstämme und kahle Astgabeln durchstechen Fujimoris Gebäude wie sakrale Symbole. Mit handgespaltenen Schieferschindeln oder geflammten Zedernbrettern verkleidet, blüht auf einigen Häuserdächern der Löwenzahn oder der Schnittlauch. Die Materialien, mit denen Fujimori den Stahlbetonkern seiner Häuser umhüllt, sind ebenso ungewöhnlich wie ihre bodenständige Verarbeitung, die der Architekt mit Studenten, Freunden, Kindern und anderen Laien vor Ort auf der Baustelle umsetzt.
Sein erster Bau, das Historische Museum der Moriya-Priesterfamilie in Fujimoris Heimatdorf in der Präfektur Nagano, ist in Mörtel und Stroh sowie Kastanienholz aus den umliegenden Wäldern eingewickelt. Seine Fertigstellung 1991 löste eine Kontroverse in Japan aus. „Für einen mit der Moderne vertrauten Architekten sieht Fujimoris Bau wie das Werk eines Verrückten mit sehr ausgefallenem Geschmack aus“, kommentiert Toyo Ito den burgenartigen Bau und bleibt gleichwohl wie viele seiner Kollegen tief beeindruckt. Berg und Fluss, Gras und Baum finden in Fujimoris Entwurf zueinander. Die raue Holzhülle ist über einen erdbebensicheren Stahlbetonkern gestülpt und wirkt vertraut und nostalgisch zugleich. Im Inneren breiten sich die Räume wie eine meditative Höhle aus gestampfter Erde aus.
Seit über zwanzig Jahren baut Fujimori Häuser – jedes Jahr kommt ein neues hinzu. Studentenwohnheime und Thermalbäder sind bereits entstanden, außerdem Wohnhäuser und Teehäuser, die wie wackelige Vogelhäuser auf Pfählen in die Luft ragen. „Ich möchte nicht existierende Gebäude schaffen und dabei natürliche, unbehandelte Materialien verwenden“, meint der Architekt und wirkt dabei gelassen und bescheiden, auch wenn sein Anspruch alles andere ist. Gebäude ohne Referenzen, die keine Vorbilder haben, keine Typologien zitieren und unserer Vorstellungswelt gänzlich entgrenzt sind – gibt es das überhaupt? Auch Träume speisen sich aus der Erinnerung und aus Assoziationen mit Dagewesenem, sie sind mit Zitaten und Vorstellungswelten durchsetzt, die sie interpretieren und ihnen so eine neue Gestalt geben. Vom Himmel gefallen, soviel steht fest, sind also auch Fujimoris Häuser nicht. So bleibt die Sehnsucht, sich mit der Natur zu vereinen und eine Art metaphysisches Jenseits zu entdecken, im Kern ein Wunschdenken, das in der architektonischen Realität zu einer Art Camouflage oder Verpackung moderner Bauweisen wird. Trotzdem sind Terunobus Entwürfe keine bloße Kulisse, weil sie von einem Traum getragen sind, der urmenschlich ist und stets neu beflügelt wird.
Am deutlichsten kommt dieser Zusammenhang in Fujimoris Teehäusern zum Vorschein. Es sind kugelrunde oder sperrige Urhütten, die der Architekt auf wackelige Pfähle in die Luft oder in Boote auf das Wasser setzt, mit Feuerstellen und Tatami-Matten ausstattet und zu Orten der Meditation und der Entschleunigung macht. Sein eigenes Teehaus, das Tagkasugi-an, thront mehr als sechs Meter über dem Gemüsegarten auf zwei kahlen Kastanienstämmen. Schiefe Wände umzirkeln einen reduzierten Innenraum, der den Blick von der Feuerstelle auf das Chino-Tal lenkt. „Das Schönste ist, dass es so stark schwankt, wenn man es betritt“, beschreibt der Architekt die Poesie seines 'zu hohen Teehauses'“. „Und erst wenn alle zur Ruhe gekommen sind, kann die Teezeremonie beginnen.“
Vielleicht ist die Zeit gekommen, dem Forschschritts- und Technologieglauben, der sich in den glatten Hightech-Oberflächen von Japans Glas- und Stahlarchitektur Ausdruck verschafft, Einhalt zu gebieten und sich wieder stärker auf Menschen und die Natur zu konzentrieren. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass Fujimoris Architektur nur möglich ist, weil es Menschen gibt, die seinen Traum teilen, zu einer größeren Natur zu fliegen, die vielleicht irgendwo jenseits der realen Natur existiert“, schreibt Toyo Ito im Katalog über seinen Kollegen. Ito macht die Abstraktion als eine gestalterische Methode ausfindig, die in Fujimoris Bauten zum Ausdruck. Er schließt seinen Essay mit dem Satz: „Nach der Erdbebenkatastrophe von 2011 würde ich diese Art von Abstraktion gerne mit Fujimori teilen“.

Text: Sandra Hofmeister

Terunobu Fujimori. Architekt.
Von 21. Juni bis 16. September 2012
Villa Stuck, München
www.villastuck.de

Zum Weiterlesen:
Terunobu Fujimori, Herausgegeben von Hannes Rössler und Michael Buhrs Softcover, 240 Seiten, deutsch, Hatje Cantz, Ostfildern, 2012, 39,80 Euro, www.hatjecantz.de

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