Auch die Ewigkeit ist nur aus Zeit gebaut

Für den sozialistischen Weltfrieden waren sie einmal gebaut. Später wurden viele Gebäude der DDR als verhasste Zeichen des Sozialismus abgerissen. Heute haben nicht wenige Architekturbeispiele Kultstatus und gelten als kuriose Relikte einer längst vergangenen Ära.

„In der DDR gab es keine Architekten“, war das strikte Urteil, das der Chefredakteur einer Architekturzeitschrift Anfang der 90er Jahre in die Diskussion über Ostberlin einbrachte. Damals war ich Praktikantin in der Redaktion. Und wie viele meiner Kommilitonen trieb mich die Auseinandersetzung mit der Welt jenseits der Mauer um – jenem abenteuerlichen Stadtgebiet Berlins, das wir monatelang als Studenten neugierig erkundet hatten. Der Zuckerbäckerstil der Karl-Marx-Allee, die monumentalen Plattenbauten in Marzahn und die Schaukastenfassade des Kino International – all das schien uns unbegreiflich. Als Zeichen für den sozialistischen Weltfrieden waren diese Gebäude für die Ewigkeit gebaut worden und galten nun als verhasste Reste eines Unrechtsregimes, das Deutschland hinter sich gelassen hatte. Heute gibt es kein Ostberlin mehr, dafür aber die „Ostmoderne“. Der Osten ist en vogue. Gerade eine jüngere Generation befasst sich zunehmend mit sozialistischer Architektur und Gestaltungsparametern. Das Plattenbauquartett des Superclub dokumentiert die „signifikanten Details unsanierter Fassadenelemente und Betonsteine“ der DDR auf Spielkarten. Kultstatus hat auch das „Ostel-Hostel“. Es bietet seinen Gästen eine Zeitreise zurück ins Ost-Berlin der 70er und 80er Jahre – samt Schrankwand „Karat“ und „Pionierlagern“ mit Originaleinrichtung. Was früher als Errungenschaft des brüderlichen Weltfriedens galt, ist heute ein Kuriositätenkabinett der besonderen Note.

Von der Abrissbirne zur zaghaften Wiederentdeckung

Auch der Palast der Republik – ehemals als repräsentativer Volks- und Staatspalast errichtet, ist ein Stück Erinnerung, das für die nachfolgenden Generationen keine Rolle mehr spielen wird. An seiner Stelle im Zentrum Berlins klafft heute eine symbolische Lücke im Stadtraum – ein Zeichen für den Irrglauben, man könne die DDR mit dem Abriss ihrer Gebäude überwinden. Doch mit dem zeitlichen Abstand zum Fall der Mauer ist endlich auch die Bereitschaft und die Sensibilisierung zu einer Auseinandersetzung mit der Architektur der DDR gewachsen. Die frühere Radikalkur, als sich die Abrissbirnen durch die neuen Länder vorarbeiteten und den Architekten der DDR jeglicher Berufsstatus abgesprochen wurde, ist einem sensibleren Umgang mit den Bauwerken aus dem Osten gewichen. „Eine positivere Einstellung von Stadtvätern, Planern und Bürgern bringt neue Chancen für das architektonische Erbe der DDR“, heißt es in einem Eintrag auf www.ostblog.blog.de. Die „Ostmoderne“ wird derzeit in zaghaften Schritten und im Sinne einer Aneignung eines Stücks Geschichte wiederentdeckt. Was dabei als erstes auffiel, war eine gewisse architektonische Vielfalt in den einzelnen Ländern des ehemaligen Ostblocks: Rekonstruktionen des kriegszerstörten Warschau zählen ebenso zur „Ostmoderne“ wie das monströse ehemalige Straßenbauministerium in Tiflis oder der Platz der Jugend und des Sports in Pristina. Fotografen und die Internetgemeinde dokumentieren diese Gebäude in vielen Eigeninitiativen und übergreifenden Netzwerken. „Spomeniks“ nennen sich die futuristisch anmutenden Kolosse, die in den 60er und 70er Jahren im ehemaligen Jugoslawien von Tito erbaut wurden, um die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wach zu halten. Jan Kampenaers hat die unheimlichen Denkmäler und Skulpturen mit seiner Kamera festgehalten. Sein Blick fokussiert sie als Überreste einer Zeit, die große Pläne hatte und sie in einer radikaläshtetischen Betonsprache umsetzte. Initiativen und Forschungseinrichtungen wie das „Pervasive Monuments“-Archiv der Nottingham University sammeln ebenfalls „Spomeniks“, registrieren sie in einem digitalen Datenfundus (www.spomenik.org) und setzen damit den ersten Grundstein für eine Forschungsarbeit, die in den nächsten Jahren sicher noch vertrieft wird.

Raster, Typen und der Berufsgemeinschaften

Was einmal für die Ewigkeit gedacht war, entpuppt sich heute als Monument einer Ära auf Zeit. 1950 beschloss die Baukonferenz der DDR, sich dem Übergang von schwerer Handarbeit zu hochproduktiver Maschinenarbeit zu widmen. Das Ergebnis war eine Industrialisierung, die zu Rasterfassaden und Typisierungen, deren Verschränkung und Wiederholung führte. Die Tradition selbständiger Architekten ging in volkseigenen Projektierungsbüros auf, die in den 1960er Jahren wiederum mit den Baukombinaten zusammengeführt wurden. „Die Eintönigkeit nebeneinander aufgezeilter Häuserblöcke, in die mit der Maschinenpistole ganze Fensterreihen hineingeknattert scheinen, hat zum Gegenpol die zusammengewürfelten Einfamilienhäuser, die sich gegenseitig so originell wie möglich anplustern“, hielt Hermann Henselmann, der Architekt des Haus des Lehrers 1967 fest. Er fügte noch hinzu: „Für uns in der DDR ist das erstere die größere Gefahr: Der Mangel an Vielfalt im Wohnungsbau der Massenfertigung.“ Nach dem Bau der Stalinallee (heute: Karl-Marx-Allee) wurde Henselmann zum Chefarchitekten beim Magistrat von Groß-Berlin ernannt. Danach leitete er verschiedene Entwurfsbrigaden und wohnte in einem der Turmhochhäuser am Straußberger Platz, die er selbst entworfen hatte. Gab es in der DDR wirklich keine Architekten? Wer baute die "Wohnzelle Friedrichshain", das "Restaurant Moskau", das Kino "International", die "Mokka-Milch-Eisbar" oder das Freibad Pankow und vieles mehr? Es gab sehr wohl Berufsgemeinschaften, und die Auseinandersetzung mit ihrem Erbe lohnt sich für die Zukunft.

Text: Sandra Hofmeister

 

 

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