Als die Städte laufen lernten

Fliegende Ufos, mobile Wohnkapseln und temporäre Architektur: Viele Utopien der Moderne haben heute Kultstatus. Sie galten früher einmal als revolutionär und entfalten ihre Strahlkraft nun vornehmlich in musealem Kontext.

Architektur hält ewig. Die Tempel der Griechen, die Basiliken der Römer und die Siedlungen der Etrusker stellen diesen Anspruch unter Beweis. Die Standhaftigkeit der steinernen Ikonen wird heute oft als eine Qualität gedeutet, die im aktuellen Architekturgeschehen unter ganz anderen Vorzeichen Relevanz erhält. Was lange währt und mehrere Generationen, vielleicht sogar Zeitalter übersteht, ist nachhaltig, verbraucht wenig Ressourcen und gilt dank seines langen Lebens als effizient. Die Schnelllebigkeit hingegen, das kurze Verfallsdatum und der temporäre Sinn für Gebautes sind unserer Baukultur in vielen Bereichen abhanden gekommen. Natürlich gibt es Ausnahmen. Und es gibt eine lange Geschichte mobiler oder temporärer Behausungen, die von den frühen Avantgarden bis zum Mobile Home und heutigen Loft Cubes oder Living Boxes führt. Wirklich flächendeckend durchgesetzt hat sich die Utopie mobiler Architektur bis heute nicht. Trotzdem haben temporäre Gebäude generell einen anerkannten Stellenwert, der sich oft als musealen Kultstatus zeigt.

Beweglich, mobil, zukunftsorientiert
Befreit vom Weitblick in eine steinerne Ewigkeit begannen Architekten der frühen Avantgarde, mit seriellen Methoden des Bauens zu experimentieren. Das industrielle Zeitalter bot dazu umfangreiche Möglichkeiten. Häuser aus dem Versandkatalog, auf Lastwägen oder als Bahnfracht in verschiedenen Modellvarianten geliefert, galten als revolutionäre, schnelle, pragmatische Methode für das Bauen. Sie konnten einfach vor Ort montiert und wieder demontiert werden, waren obendrein kostengünstig. So glaubte Frank Lloyd Wright noch, dass die soziale Frage durch die Vorfabrikation von Baukastensystemen gelöst werden könnte. „Prefab“ galt als Zauberwort, die serielle Produktion vormontierter Bauteile als ausgemacht für das flächendeckende Bauen der Zukunft und das Potenzial an Freiheit, das mit beweglichen Häusern möglich war, wurde als unendlich eingeschätzt. Doch als Buckminster Fullers runde Dymaxion Häuser, ursprünglich im Auftrag der US-Regierung als kostengünstige Truppenunterkunft entwickelt, Mitte der 1940er Jahren in Serie produziert wurden, war der Traum von der zerlegbaren und transportablen Blechkugel zum Wohnen schnell vorbei. Nicht mehr als vier Baukästen für die Ufo-artigen Metallhäuser wurden produziert und in Alaska, im Nahen Osten und in der Nähe von New York eingesetzt. Seine Strahlkraft hat die mobile Einheit als Haus der Zukunft deshalb nicht verloren. Flexibilität, Mobilität und Beweglichkeit in jeder Hinsicht waren im Mittelpunkt der Szenarien, welche die Architektengruppe Archigram in den frühen 60er Jahren als visionäre Fantasien konzipierte. Ihre Utopie galt modernen Großstadtnomaden, die sich in beweglichen Wohnkapseln von Stadt zu Stadt ziehen und dabei ihr Haus im Gepäck mitnehmen. Archigram machte dem Wohnen und ganzen Städten in vielen Zeichnungen Beine, rebellierte gegen konservative Lebensformen und starre urbane Strukturen. In der „Plug in City“ sollten Bewohner mit mobilen Wohnkapseln an das bestehende Gerüst einer städtischen Infrastruktur andocken.
Aus dieser Zukunftsvision wurde Ende der 60er Jahre ansatzweise Realität: Das Futuro-Haus des finnischen Architekten Matti Suuronen, ursprünglich als Skihütte konzipiert, konnte per Helikopter transportiert werden und ging ab 1968 in die Serienproduktion. Nur 4.000 Kilogramm wog dieses Ufo auf Stelzen – Symbol der fortschrittsgläubigen Raumfahrtära. Es wurde aus glasfaserverstärktem Polyester gefertigt und bot auf seinen 25 Quadratmetern allerhand Wohnkomfort für den damals exorbitant hohen Preis von 12.000 $. Doch die Ölkrise zu Beginn der 70er Jahre trieb den Preis für Kunststoff in die Höhe. Insgesamt 96 Futuro-Häuser wurden gebaut – teilweise in Lizenzproduktionen. Erst kürzlich wurde das Haus Nr. 20 in Taiwan wiederentdeckt. Das Museum Boijmans van Beunigen in Rotterdam widmet dem Prototypen der ellipsoiden Wohnkapsel, der sich in der hauseigenen Sammlung befindet, derzeit eine Ausstellung. Futuro ist längst zum Kult geworden und zeigt beispielhaft das Scheitern einer Utopie aus einer Zeit, in der Architekten fest daran glaubten, die Gesellschaft Zukunft zu revolutionieren. Zwar wird „Prefab“ auch heute noch in vielen Bereichen und allein schon aus Kostengründen gebaut. Doch die Idee, neben Stühlen und Laptop gleich noch das ganze Haus von Stadt zu Stadt oder in immer neue Landschaftsräume mitzunehmen bei Umzügen, hat sich als Trugschluss erwiesen.

Museale Experimente
Temporär und auf Vergänglichkeit ausgerichtet – im musealen Kontext sind diese architektonischen Prämissen heute oft zu Hause. Befreit von profitsüchtigen Bauherrenwünschen, von Bauvorschriften, Kostendruck und Nutzungsvorgaben, experimentieren internationale Architekten seit 11 Jahren regelmäßig in den Kensington Gardens in London. Die temporäre Pavillonarchitektur der Serpentine Gallery mutiert dabei zum l’art pour l’art, zelebriert die so gewonnene Freiheit und lässt die Fesseln des Alltäglichen und der Langlebigkeit zugunsten der autoreferenziellen Möglichkeiten hinter sich. Der Rückbau besiegelt seit jeher auch das Schicksal der temporären Gebäude für Weltausstellungen. Für kurze Zeit konzipiert, verschwinden auch die Furrore machenden Länderpavillons in ebenso kurzer Zeit wieder. Kritiker kreiden dies als Verschwendung von Ressourcen zugunsten des kurzweiligen und überflüssigen Spektakels an. Ihre Argumente sind nachvollziehbar. Trotzdem öffnet sich in der Kurzweiligkeit von Architektur auch eine Chance, Ungeahntes auszuprobieren, zu Experimentieren und befreit von den Überlegungen der Langlebigkeit voraus zu denken. Im Fall von Mies van der Rohes Barcelona Pavillon hat sich die kurzzeitige Lebensdauer gar als ein veritabler Fall für die Ewigkeit herausgestellt: Der Ausstellungspavillon für die Weltausstellung in Barcelona wurde 1929 noch in seinem Baujahr wieder abgerissen. Die verwendbaren Baustoffe wurden verkauft – einige davon sind im Altbau des Sächsischen Landtags wieder verwendet. Doch in den 80er Jahren erhielt die Strahlkraft der Mies’schen Ideen durch die Rekonstruktion des Pavillons ein neues Abbild, das die Phantasie ganzer Generationen inspiriert. Was ursprünglich als temporäre Architektur gebaut wurde, gilt nun also doch für die Ewigkeit.

Text: Sandra Hofmeister

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Dr. Sandra Hofmeister

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