Kurven im Raum

Zu jedem Gebäude in der Autostadt weiß Funter Henn gleich mehrere Geschichten zu erzählen, jeden Winkel kennt er sie seine eigene Westentasche. "Von hier ist der Blick am besten", meint der 65-jährige Architekt und versteckt seine eigene Begeisterung hinter einem verschmitzten Lächeln. Sich in den Vordergrund zu drängen oder aufzutrumpfen zählt nicht zu den Charaktereigenschaften des gebürtigen Dresdners. Vor 15 Jahren hat Gunter Henn den Masterplan für die Autostadt entwickelt. Heute ist sein ursprüngliches KOnzept rundherum aufgegangen – und wird nun sogar noc hum ein weiteres Gebäude ergänzt - dem Porsche Pavillon.

Die Architektur des Porsche Pavillons bekennt sich rundherum zur Dynamik. Wie kommt es dazu?
In meinen Augen ist der Porsche ein einzigartiges Fahrzeug, weil er körperhaft in Erscheinung tritt. Wir nehmen üblicherweise bei Gebäuden und auch bei Autos Seiten- und Vorderansichten sowie das Dach als solche wahr. Bei einem Porsche hingegen verbindet sich all dies zu einem durchgängigen, fließenden Körper, der in sich moduliert ist und eine animalische Kraft spürbar macht. Wir wollten diese Dynamik und Schnelligkeit räumlich erlebbar machen. Deshalb haben wir gemeinsam mit den Porsche-Designern die Linienführung des Sportwagens genau analysiert und lange daran gefeilt,
sie stimmig in eine körperhafte Architektur zu übertragen.

Bewegung und Schnelligkeit sind Eigenschaften, die in der Architektur letztlich statisch bleiben müssen. Wie kann man diese Eigenschaften in Räume transponieren?
Die Radien eines Porsche nehmen permanent ab oder zu. Sie krümmen sich mal stärker, dann wieder schwächer und enden nicht, sondern werden stets in neuen Kurven gebunden. Wir haben diesen Aspekt, in dem die Dynamik wurzelt, in einem Gebäudekonzept aufgegriffen, das sich nicht in traditionellem Sinne aus Boden, Wand und Decke zusammensetzt. Stattdessen formten wir eine Skulptur aus durchlaufenden Linien und mit einem einheitlichen Material. Alles ist auf Kurven und Krümmungen ausgerichtet. Das Auge ruht sich nirgendwo aus, sondern wird ständig weiter geführt.

Der Gebäudekörper des Pavillons ist organisch geformt und asymmetrisch. Inwiefern unterstützt dies Ihre Intention?
Geometrien strahlen keine Dynamik, sondern Ruhe aus. Immer wenn ich am Schloss Nymphenburg in München vorbei jogge, bleibe ich einen Augenblick vor dem Schloss stehen und genieße den erhabenen und ruhigen Eindruck, der sich durch die Symmetrie ergibt. Beim Porsche Pavillon jedoch wollten wir diese Ruhe und Monumentalität vermeiden. Es ging uns um Dynamik, die wiederum durch Asymmetrien entsteht. Unregelmäßige Körper laden den Betrachter dazu ein, weiter zu gehen und mit jedem Schritt zu beobachten, wie sich die Linien und Kurven entwickeln.

Erstmals in der Architektur entstand ein Gebäude in größerem Maßstab, dessen Hülle aus fugenlosem, mattem Edelstahl gefertigt ist. Wie kamen Sie auf dieses Material?
Insgesamt haben wir im Entwurfsprozess eine Reihe verschiedener Materialien und Konstruktionsweisen in Betracht gezogen, als Mustermodelle im Maßstab 1:1 anfertigen lassen und in Stuttgart-Zuffenhausen nebeneinander aufgebaut. Nur so konnten wir ihre Wirkung in der Architektur überprüfen, auch in Bezug auf haptische und optische Qualitäten. Erstaunlicher Weise gab es bei allen Beteiligten sofort den Konsens, auf Edelstahl und auf die Monocoque-Bauweise zurückzugreifen. Vor allem die sinnlichen Eigenschaften haben dabei überzeugt. Beim Klopfen auf den fugenlosen Hohlkörper entsteht eine satte Volumenresonanz, die anderen Modelle hingegen klangen hohl. Durch den Edelstahl ergab sich auch eine Referenz an den Ur-Porsche. Außerdem musste das Material nicht lackiert werden und konnte fugenlos zu einer fließenden Hülle und zu einem großen Resonanzvolumen geformt werden, das obendrein optisch wie aus einem Guss auftritt. Vor allem fuü die Dynamik ist das entscheidend. Sicher war es etwas gewagt, bei kurzer Planungs- und Bauzeit ausgerechnet auf ein Material und eine Bauweise zurückzugreifen, das in der Architektur bislang noch nicht in diesem Maßstab erprobt ist. Doch das ist nach meiner Erfahrung das Los jedes Experiments und letztlich auch jeder Innovation. Beim Porsche Pavillon hat dieses Experiment wunderbar funktioniert, weil sich alle Beteiligten für diesen Weg begeistert haben.

Inwiefern ist die Konstruktion des Pavillons eine zukunftsweisende Ingenieurleistung?
Bei einem Monocoque bilden Tragwerk und Hülle eine Einheit. Auch die Edelstahlbleche übernehmen tragende Funktion.Übrigens ist dies das erste und einzige Architekturbeispiel für den Leichtbau in diesem Maßstab. Die Hülle wurde in einer Werft in Stralsund vorgefertigt, in großen Einzelteilen nach Wolfsburg transportiert und auf der Baustelle zusammengeschweißt. Alles in allem ergaben sich so nicht nur deutliche Gewichts-, sondern auch Zeit- und Qualitätsvorteile. In einer Halle kann man ganz andere Qualitätsmaßstäbe ansetzen als auf der Baustelle. Da tagsüber der Betrieb der Autostadt ohne Baulärm aufrechterhalten werden musste, montierten wir zudem nachts. Durch den hohen Vorfertigungsgrad gelang es uns, die Bauzeit zu reduzieren.

Welche Technologien kamen bei der Planung des Pavillons zur Anwendung?
Beim Entwerfen haben wir auf spezielle Softwaretools zurückgegriffen, die aus dem Automobilbau kommen. Jeder Punkt im dreimdimensionalen Raum wurde auf den Millimeter exakt in einem Datenmodell bestimmt. Dieses Modell konnten wir nach Stralsund weiterleiten, ohne dass durch die Schnittstellen zur Fertigung Datenverluste entstanden. Auch die Technologie, doppelt gekrümmte Flächen ohne eine aufwändige Schalung zu formen, ist einmalig und wäre noch vor kurzem gar nicht möglich gewesen.

Der Entwurfs-, Planungs- und Bauprozess des Pavillons ist im Teamwork zwischen Ihrem Münchner und Berliner Büro entstanden. Wie muss man sich das vorstellen?
Schon vor dem Entwurf hat ein Programming Team genau eruiert, welche Werte der Porsche-Pavillon zum Ausdruck bringen soll. Hinzu kam dann ein kompetentes Team in Berlin, das den gesamten Designprozess gesteuert hat. Mein Sohn Martin Henn und Klaus Ransmayr haben viel Erfahrung mit komplexen Softwaretools in den USA gesammelt, sie sind bestens mit komplexen Datenmodellen vertraut und können spielerisch mit ihnen entwerfen. Ich hingegen musste während meiner Ausbildung noch mit dem Rapidographen zeichnen – das ist heute, im digitalen Zeitalter, kaum noch vorstellbar. Das Designteam konnte alle Änderungen Korrekturen zu jedem Zeitpunkt des Planungsprozess in das Datenmodell des Gebäudes rückkoppeln. Zusätzlich gab es natürlich ein klassisches Architekturteam für die Entwurfs- und Werksplanung. Außerdem hatten wir Kostenplaner, Fachleute für die Ausschreibung und natürlich Fachingenieure wie Tragwerksund Lichtplaner. Koordiniert wurde das ganze in unserem Berliner Bu?ro, und unser Bauleiter Hans Funk hat vor Ort in Wolfsburg auf der Baustelle mit großer Umsicht dafür gesorgt, dass die Planung exakt umgesetzt wurde.

Der Porsche-Pavillon ergänzt den Themenpark der Autostadt, die im Jahr 2000 eröffnet wurde. Inwiefern fügt sich das Gebäude in das vorhandene Ensemble ein?
Wir haben die einzelnen Pavillons wie auf einem Familienfoto arrangiert. Keiner verdeckt den anderen, vom Konzernforum breitet sich ein Panorama aus, in dem alle Familienmitglieder ebenbürtig nebeneinander stehen. Außerdem hat jeder Pavillon eine unmittelbare, harte Wasserkante und einen Hügel mit einer weichen Wasserkante auf seiner Rückseite. Der Porsche-Pavillon ist allerdings der einzige, der sich durch sein auskragendes Dach unmittelbar auf den Naturraum öffnet und ihn in dieser Hinsicht architektonisch für sich nutzt. Wir haben die Lagune des Landschaftsparks an dieser Stelle aufgeschu?ttet und auf dem Land, das so gewonnen wurde, einen Baukörper errichtet, der vom Wasser umgeben ist und in die Fjorde und Hügel eintaucht.

Was hat Sie persönlich besonders an der Planungsaufgabe gereizt, einen Pavillon für Porsche zu bauen?
Schon in den 90er-Jahren haben wir den Masterplan für die Autostadt entwickelt. Daher kenne ich das Areal seit seiner Entstehung und Eröffnung. Über die letzten beiden Jahrzehnte entwickelte sich auch ein besonders Verhältnis zu den Bauherren – zur Autostadt und zu Volkswagen selbst. Das Vertrauen, das uns die Bauherren bei diesem Projekt entgegengebracht hat, ist nach meiner Erfahrung einzigartig. Es ging um die klare Vision, die Autostadt in eine neue Ära zu überführen. Der Porsche-Pavillon setzt in diesem Zusammenhang ein deutliches architektonisches Signal.

Interview: Sandra Hofmeister

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Dr. Sandra Hofmeister

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