BIG zwischen Utopie und Pragmatismus

 Bjarke Ingels und seine BIG-Visionen

„Das Haus ist eine Maschine zum Wohnen“1 proklamierte Le Corbusier 1921. Seine später errichteten Wohnmaschinen zeigen, wie sich dieser Gedanke in Stahlbeton umsetzen lässt. Nun gehört Le Corbusiers radikal funktionalistische Haltung – allen voran seine Stadtvisionen – längst zum Inventar der Architekturgeschichte. Doch in der Diskussion um die Zukunft der Stadt bleibt
die architektonische Großform an sich, etwa fu?r städtische Wohnblöcke, weiterhin relevant. Denn das Problem wachsender urbaner Ballungsräume wird sich auf Dauer nicht mit kleinen Reihenhäusern und schmucken Townhouses alleine lösen lassen. Bjarke Ingels ist ein Meister der Großform. Zwar grenzt sich der junge dänische Architekt als undogmatischer Pragmatiker klar von Le Corbusiers ideologischen Ansätzen ab und sieht sich selbst eher im Dienst einer architektonischen Evolution denn einer Revolte. Doch auf die architektonische Großform – und mit ihr ist der Bezug auf Le Corbusier unvermeidlich – greift Bjarke Ingels gleich mehrfach zurück, wenn auch teils im übertragenen Sinn. BIG nennt sich die Gruppe aus Architekten, die sich um den Dänen zur Bjarke Ingels Group versammelt hat und ihren Namen selbstbewusst in Großbuchstaben präsentiert. Etwa achtzig Mitarbeiter aus zwanzig Ländern sind im BIG-Büro in Kopenhagen beschäftigt – eine Art internationaler Think Tank fu?r unorthodoxe architektonische und städtebauliche Projekte, die Großes bewirken sollen. „Thinking big hat nichts mit dem Maßstab von Bauaufgaben zu tun, sondern mit der Kraft einer Idee“, sagt Bjarke Ingels. Es sei reiner Zufall, dass sie derzeit an keinen kleineren Projekten arbeiten, fügt er noch hinzu. Die gesellschaftspolitische Aufgabe, die Zukunft zu gestalten, ist so fest im Selbstverständnis des jungen Architekten verankert wie die pragmatische Überzeugung, die Welt in einem gemeinsamen Prozess mit Bauherren, Immobilienunternehmen und den Nutzern der Gebäude verändern zu können, und zwar in kleinen Schritten.

Wohnmaschine mit Lebensqualität
Eine dieser unkonventionellen, großen Ideen, die Bjarke Ingels und sein BIG-Team aushecken, wird demnächst an der Peripherie von Kopenhagen realisiert sein. Das 8-House in Ørestad verdankt seinen Namen der Form seines Grundrisses in Gestalt einer kantigen Acht. Im unteren Bereich des insgesamt zehn Stockwerke hohen Gebäudes werden Läden und Büros einziehen, daru?ber sind entlang der beiden Innenhöfe insgesamt 540 Wohneinheiten gestapelt. Die gigantische urbane Wohnmaschine setzt sich jedoch durch ihre überraschenden Lebensqualitäten klar von Le Corbusiers „Unité d’habitation“ ab. Wie eine Dorfstraße schlängelt sich eine durchgängige Promenade durch das gesamte Gebäude bis hinauf zum Dach – ein rasanter Loop auch für Fahrradfahrer, die bis vor ihre Haustu?r radeln können. Die breite Rampe ist überdies von Gärten gesäumt, die zu den angrenzenden, reihenhausartigen Wohnungen gehören. Die dreieckigen Balkone daru?ber sind so angeordnet, dass sie weder die Gärten noch sich selbst gegenseitig verschatten. Statt zur gängigen Zersiedelung bekennt sich das 8-House zur urbanen Dichte auch in der Vorstadt. Es stellt helle Wohnungen mit Gärten bereit, die durch verschiedene Grundrisse auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten sind. Gegensätze zu vereinen und mit einfachen Mitteln zu u?berwinden, zählt mit zu den Kerngedanken der Architekten, die auch bei diesem Entwurf die treibende Kraft waren. „Architektonische Alchemie“ nennt Bjarke Ingels diesen Prozess, gängige Ingredienzien so zu mischen und derart geschickt mit Antinomien zu operieren, dass zukunftsweisende, neue Ideen – und im Fall des 8-House sogar eine neue Typologie – entstehen können. „Oft“, so Ingels, „ist das Radikale an unseren Entwürfen, dass wir alle glücklich machen wollen.“ Seine Projekte zeigen Mittel und Wege auf, private und öffentliche Interessen, Ökonomie und Ökologie, Urbanität und Peripherie zu koppeln, ohne dass eine Seite zu kurz kommt. Einer der griffigen Slogans, mit denen Bjarke Ingels diese Strategie des Sowohlalsauch auf den Punkt bringt, heißt: „Yes is more“.

Ökologie und Ökonomie
Dass der pragmatische Utopist aus Kopenhagen auch das Thema Nachhaltigkeit ins Visier genommen hat, versteht sich von selbst. „Oft wird Nachhaltigkeit auf protestantische Weise missverstanden als etwas, das wehtun muss, damit es funktioniert“, meint Ingels. BIG-Projekte wie der Masterplan für „Zira Island“, eine energieautarke Stadt im kaspischen Meer beweisen das Gegenteil. Der Dänische Pavillon für die diesjährige Expo in Shanghai ist nicht ohne politische Absichten darauf ausgerichtet, Nachhaltigkeit als urbane Lebensqualität zu repräsentieren. In der Mitte der schleifenartigen Rampen des Gebäudes, die nach dem dänischen Way of Life als Fahrradwege genutzt werden, öffnet sich ein großes Schwimmbecken. Und im Meerwasser aus Kopenhagen, das chinesische Containerschiffe als notwendigen Ballast nach Shanghai transportieren, nachdem sie ihre Fracht in Kopenhagen gelöscht haben, wird die „Kleine Meerjungfrau“, die der Bildhauer Edvard Eriksen nach der gleichnamigen Märchenfigur von Hans
Christian Andersen geschaffen hat, zwischen den badenden Gästen thronen. „Welfairytales“ nennt BIG den Pavillon nicht ohne Ironie, die allerdings einen ernsten Kern hat: „Man stelle sich nur die Kraft dieser Idee vor“, erklärt Ingels, „wenn wir die Chinesen von unserem Vorschlag begeistern und sie im Jangtse baden könnten! Das hätte enorme Auswirkungen auf die Lebensqualität in
Shanghai!“ Dass BIG die Welt trotz unorthodoxer Ideen nicht grundlegend verändern wird, ist Bjarke Ingels völlig klar. Trotzdem hält er daran fest, sich auf dem Weg nach Utopia für eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft der Städte einzusetzen. Egal ob in Kopenhagen oder anderswo.

Text: Sandra Hofmeister

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Dr. Sandra Hofmeister

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