Emotionen in Schwarz und Rot

Die französische Architektin Odile Decq bekennt sich freimütig zu Kontrasten. Ihre Gebäude inszeniert sie als emotionale Räume, die sich auf den Dialog mti dem Leben einlassen.

An der Haustür der Rue des Arquebusiers 11 in Paris gibt es viele Klingelschilder, doch keines für das Architekturbüro von Odile Decq. „Sie müssen durch den Hof und im Hinterhaus die Treppe nehmen“, sagt eine Bewohnerin. Die abgetretenen Holzstufen stellen das Gleichgewicht mit jedem Schritt erneut auf eine Probe. Oben angekommen öffnet sich ein verwinkelter Raum unter dem Dach. Mächtige Holzbalken durchziehen ihn wie ein Gerippe, das die Remise im Marais aus letzter Kraft zusammenhält. „Ich habe diese Räume vor 18 Jahren gefunden, früher einmal war hier eine Werkstatt für Kupferrohre“, sagt Odile Decq mit weicher Stimme und tänzelt in schwarzen Gewändern um einen gläsernen Besprechungstisch. Ihr Gothic-Look mit zerzausten schwarzen Haaren, anthrazitfarben geschminkten Augen und dunklen Lippen brachte der Französin den Ruf einer rebellischen Punk-Architektin ein, die als weibliches Pendant von Robert Smith, dem Bandleader von The Cure, durchgehen könnte. Doch die 56- jährige Bretonin gibt sich keineswegs so exaltiert und schrill, wie ihr Ruf vermuten lässt. Sie lächelt charmant-zuvorkommend, wirkt dabei fast schüchtern.

Türme aus Papier und Modelle in allen Größen verwandeln ihr Atelier in eine vollgestopfte Werkstatt, die bis in den letzten Winkel genutzt ist. Insgesamt 20 Architekten aus Tunesien und Südafrika, China und Italien arbeiten in der großen Dachstube, dem Büro von Odile Decq Benoît Cornette Architectes Urbanistes (ODBC) in Paris. Sie konzipieren Museen in Italien und Brücken in den Niederlanden, Hafenterminals in Marokko und Wohnhäuser in China. Viele dieser architektonischen und urbanistischen Ideen wurden mit internationalen Architekturpreisen ausgezeichnet. „Ich versuche zu verstehen, was eine Stadt ausmacht, wer dort lebte, wie sich die Stadt entwickelt hat und wie ich diese Entwicklung fortsetzen kann“, beschreibt Odile Decq ihren Entwurfsansatz. Zehn Jahre liegt es zurück, dass die renommierte Architektin mit ihrem Team den Wettbewerb für die erst kürzlich eröffnete Erweiterung des Museo d’Arte Contemporanea di Roma (MACRO) gewann. Anstelle eines hermetischen Kunsttempels, der sich von seiner Umgebung abschottet, entwickelte sie ein offenes Konzept für das 10 000 Quadratmeter große Areal im Zentrum der italienischen Hauptstadt. Brunnen und Terrassen, Plätze und Rampen machen das städtische Museum zu einem lebendigen, urbanen Raum, der mit dem angrenzenden Wohnviertel verwoben ist und zeitgenössische Kunst in den Alltag integriert. Der Dialog zwischen den Disziplinen und das offene Raumkonzept, das von Künstlern und Besuchern vereinnahmt wird und sich so mit Leben füllt, machen den Esprit des MACRO aus. Nur mit der Fassade hadert Odile Decq bis heute. Die Ziegelarchitektur der ehemaligen Peroni-Brauerei – ein Relikt aus dem frühen 20. Jahrhundert – ist dem gläsernen Neubau wie ein isolierter Schild vorgelagert. „Ich wollte sie unbedingt abreißen, aber sie haben mich nicht gelassen.“ Als Tochter aus gutem Hause wuchs Odile Decq mit sechs Geschwistern in der Bretagne auf, studierte Architektur und Urbanismus in Paris, wo sie 1985 gemeinsam mit ihrem Partner Benoît Cornette das Büro ODBC gründete. Die ersten großen Projekte wie der Glas- und Stahlpalast für die Banque Populaire de l’Ouest in Rennes (1990) brachten dem Architektenduo den internationalen Ruf gewiefter Hightech-Dekonstruktivisten ein. Nachdem Benoît Cornette bei einem Autounfall ums Leben kam, führte Odile Decq das Pariser Atelier ab 1998 alleine unter dem gemeinsamen Namen weiter. Als Direktorin der École Spéciale d’Architecture in Paris versucht sie auch, ihre Studenten auf den richtigen Kurs zu bringen. „Viele von ihnen haben Angst vor der Zukunft, weil sie ungewiss ist. Aber Architekten bauen nie für heute, sie bauen immer für morgen“, sagt sie. Doch für sich selbst duldet Odile Decq keine Vorbilder. Zu eklektisch sei ihr eigener Stil, meint sie. Form und Gestalt aus den umliegenden Strukturen heraus zu entwickeln, Widersprüche zuzulassen und den Dialog zu suchen – all dies macht ihre Architektur ebenso undogmatisch wie unverwechselbar, auch wenn sie mal auf organische Formen und dann wieder auf den rechten Winkel setzt. Auch das Autobahnkontrollzentrum in Nanterre ist von Kontrasten geprägt. Der Verwaltungsbau aus Stahl und Glas schmiegt sich wie ein filigranes Vogelnest unter die massive, aufgeständerte Betontrasse der Autoroute de Normandie. Seine knallroten Stahlstützen setzen dabei ein architektonisches Signal in der Landschaft. „Rot ist die Farbe des Lebens“, meint Odile Decq. „Schwarz hingegen hat viele und oft widersprüchliche Bedeutungen: Es steht für bürgerliche Eleganz und ist das Signet rebellischer Rocker, es ist die Farbe der Armut in den südlichen Ländern und die Farbe des Imams oder verschleierter Muslimas.“

Funktional sind die Projekte von ODBC und so vielseitig wie ihre architektonischen Lösungswege und ihr kultureller Hintergrund. Trotzdem hat die Architektin einen Traum. „Ein zeitgenössisches Gebäude mitten in Paris zu bauen, das wäre phantastisch!“, meint sie begeistert. Mit dem Restaurant der Opéra Garnier ist sie diesem Ziel recht nah gekommen. Hinter der Ostfassade des historischen Opernhauses wölben sich Kurven und Krümmungen zu organischen Formen. Sogar ein Mezzanin konnten die Architekten einziehen, ohne die Säulen des denkmalgeschützten Monuments zu berühren und den Blick auf die Kuppel zu beeinträchtigen. So erhält Charles Garniers Architektur aus dem 19. Jahrhundert eine moderne Facette. „Das Phantom“ nennt Odile Decq ihren Entwurf und stellt zufrieden fest: „Ich bin sehr stolz auf das Ergebnis.“

Text: Sandra Hofmeister

 

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