Holzhoch hinaus

 

Nicht wenige Architekten rollen zu Recht mit den Augen, wenn sie pauschal zum Stichwort „Nachhaltigkeit" Stellung nehmen müssen. Zu inflationär und beliebig wurde der Begriff in den letzten Jahren gestreut, zu willkürlich als Slogan benutzt. Auch die Immobilienwirtschaft deklariert mit dem Marketing-Etikett „Sustainability" einen Qualitätsanspruch, der zuweilen nur teilweise oder gar nicht erfüllt wird. „Greenwashing" nennen Fachleute diesen Zusammenhang.
Ursprünglich jedoch kommt der Begriff „Nachhaltigkeit" aus der Forstwirtschaft, und genau diesen Bezug sucht die Münchner Ausstellung „Bauen mit Holz – Wege in die Zukunft". Dabei verzichten die Kuratoren Winfried Nerdinger und Hermann Kaufmann bewusst darauf, ihre beeindruckende Schau unter dem Stichwort „Nachhaltigkeit" zu präsentieren. Stattdessen zeigen sie vielfältige Aspekte und Wechselwirkungen auf, die den nachwachsenden Rohstoff Holz in seinem gesamten Kreislauf begleiten: von der Forstwirtschaft bis zur Verarbeitung als Schnittholz, zu Recyclingoptionen und zum europäischen Kulturwald als Arbeitsplatz, Wirtschaftsfaktor und Ökosystem. So kommen nicht nur die Vorteile von Holz als lokale, nachwachsende Ressource hinsichtlich des Klimawandels oder der Ökobilanz von Gebäuden zu Sprache. Auch die technischen und konstruktiven Möglichkeiten des Baustoffs werden an insgesamt 52 Beispielen in Modellen, Fotos und Texten dokumentiert. Vielfältiger, überraschender und imposanter könnten die architektonischen Referenzen für den Holzbau im japanischen Odate oder im englischen Windsor, in Berlin oder Bad Aibling kaum ausfallen.

Energie aus dem Wald
Zu Beginn des Rundgangs sprechen die Fakten für sich: Eine gewaltige Fichte samt Wurzelwerk durchschneidet den ersten Ausstellungssaal in der Pinakothek der Moderne wie eine Kunstinstallation. Der 84 Jahre alte Baum hat 4,6 Tonnen Kohlendioxid in seinem Leben aufgenommen und 3,4 Tonnen Sauerstoff produziert. Zu Schnittholz und Holzwerkstoffen verarbeitet, dient Holz als Rohstoff für die Chemie und wird für Papier und Brennstoffe wie Pellets genutzt, und zwar samt seiner Neben- und Restprodukte – ein nachwachsender Universalbaustoff, dessen Werkschöpfungskette auf eine überwältigende Ökobilanz verweisen kann. Die Waldfläche der europäischen Kulturwälder, die hauptsächlich aus Fichten, Kiefern, Buchen und Eichen bestehen, nimmt stetig zu. In Deutschland wächst der Wald um achtzig Millionen Kubikmeter im Jahr, wovon rund siebzig Millionen geerntet werden. Etwa ein Drittel davon würde ausreichen, um alle Neubauten, die jährlich in Deutschland entstehen, aus Holz zu errichten.
Wälder sind Materiallieferanten und Energieträger, sie binden Kohlendioxid und setzen Sauerstoff frei, schützen vor Lawinen sowie Erosionen und bilden Naturbiotope. Im Gegensatz zu Glas oder Stahl benötigt Holz kaum Energie, bis es als Baustoff eingesetzt werden kann. Durch hohe Vorfertigungsgrade und kurze Montagezeiten können die Baukosten mit Holz gering gehalten werden. Die Ökobilanz des Materials setzt bei Gebäuden bis zu sechzig Prozent Klimaentlastung gegenüber anderen Bauweisen frei. Neue brandtechnische Möglichkeiten und Verbesserungen bei Brand- und Lärmschutzaufgaben machen Holz zudem zu einem Baustoff, der längst nicht mehr nur für Einfamilienhäuser, sondern auch für internationale Großprojekte Vorteile bieten kann.

Tragwerke und Systeme
Güterbahnhöfe und Kirchen, Finanzämter und Messehallen werden aus Holz gebaut. Außerdem große Raumexperimente wie das Dach der Multifunktionshalle der Expo 2000 in Hannover, die ihr Dach mit einer Gesamtfläche von 16.000 Quadratmetern in zehn einzelnen Schirmen mit einem doppelt gekrümmten Holztragwerk aufspannt. Toyo Itos Odate Jukai Dome Park – eine Mehrzweckhalle, die hauptsächlich als Baseballstadion genutzt ist – wird von einer großen Kuppel gekrönt, deren Fachwerkbögen und Brettschichtholzzangen aus Akitazedernholz die konstruktiven Grenzen des Holzbaus zu sprengen scheinen. Das Weingut Pérez Cruz bei Santiago de Chile lässt den Wind zwischen den Holzverschalungen seines fliegenden Dachs gleiten und setzt so auf die natürliche Belüftung seiner Hallen. Und das Wohnhaus Esmarchstraße in Berlin – ein Baugruppenhaus mit weißen Putzfassaden – stellt unter Beweis, dass Holzkonstruktionen mit sieben Geschossen durchaus auch in urbanem Kontext möglich sind. Zwar sind die Traufhöhen von Holzhäusern in den meisten Ländern gesetzlich begrenzt. Doch Forschungsstudien wie der Life Cycle Tower zeigen, dass das Bauen mit dem brennbaren Material auch für Hochhäuser möglich ist. Als herausragendes Beispiel für den öffentlichen Wohnungsbau konnte das Büro- und Wohngebäude von Schankula Architekten in Bad Aibling mit seinen acht Geschossen in nur sechszehn Arbeitstagen errichtet werden und kommt mit einem Wärmebedarf von nur achtzehn Kilowattstunden pro Quadratmeter pro Jahr aus.
Die Zukunft von Holz als Baustoff ist viel versprechend – die Vorteile des uralten Materials können gezielt in architektonische und ästhetische Qualitäten umgemünzt werden. In Innenräumen ist Holz längst in sägerauen Oberflächen, als Furnier und in Form von Holzwerkstoffplatten angekommen. Einen Ausblick auf die sinnlichen Erfahrungen und auf die Raumqualitäten des Werkstoffs gibt der letzte Saal des Ausstellungsrundgangs: Als hölzernes Kabinett ist der Raum rundherum in Buche ausgeschlagen. Boden, die Wände und die Lamellendecke duften wie ein Stück Natur bei einem erholsamen Waldspaziergang.

Text: Sandra Hofmeister

Bauen mit Holz – Wege in die Zukunft
Von 10. November 2011 bis 5. Februar 2012
Architektur Museum der Technischen Universität München, Pinakothek der Moderne
www.architekturmuseum.de

Publisher Title Type Year

Dr. Sandra Hofmeister

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80539 München

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