Das Phänomen Nendo

Vor ein paar Jahren kannte Oki Sato keiner. Heute hat sein Büro Nendo 60 Mitarbeiter, seine Entwürfe sind omnipräsent. Wie erklärt sich der weltweite Erfolg des japanischen Designers, der nicht  mal unter seinem Namen arbeitet?


Oki Sato erzählt gern Geschichten, und keiner erzählt so viele Geschichten mit humorvollen Pointen wie er. Der japanische Designer formuliert sie jedoch nicht in Worten sondern fasst sie in Ideen für Stühle und Schokoladenriegel, Halsketten oder Parfumflacons. Seine eigene Person will Oki Sato dabei so weit wie möglich heraushalten und als Erzähler unsichtbar bleiben, damit die Objekte ganz für sich selbst sprechen. Anders als viele Stardesigner meidet Oki Sato das Rampenlicht und versteckt seine eigene Person konsequent hinter dem Namen seines Studios Nendo. Das allerdings eroberte die internationale Designwelt in den letzten 13 Jahren im Sturm und aus dem Nichts heraus. Heute ist Nendo eines der erfolgreichsten internationalen Studios überhaupt und omnipräsent in der Designwelt.
Es gibt kaum etwas, das Nendo nicht gestaltet – vom Grafikdesign bis zu Möbeln oder Produkten und von Mode bis zu Interiors. Der Studioname ist Programm: Das japanische Wort Nendo bedeutet Lehm – ein wandelbares Material, das sich stets verändern und neue Formen annehmen kann, genau wie die Entwürfe des Designers. Etwa 60 Leute arbeiten in den Ateliers von Oki Sato in Tokio, Mailand und Signapore. Mit Standorten in Asien und Europa ist Nendo ein internationales Unternehmen, das Brücken zwischen den Kontinenten schlägt. Denn in den Geschichten von Nendo finden ihre unterschiedlichen Gestaltungsansätze zueinander – die nüchterne und reduzierte Sprache des japanischen Designs und die eher exaltierte, humorvolle Tradition aus Europa.
„Sein Entwurfsansatz hat mir sofort gefallen, diese Leichtigkeit“, erinnert sich Giulio Cappellini. Der Doyen des italienischen Designs entdeckte Oki Sato 2003 auf dem Salone Sattelite in Mailand. Der Newcomer aus Tokio hatte damals verschiedene Möbelprototypen auf der Nachwuchsschau des Mailänder Möbelmesse präsentiert. „Die Produkte von Nendo haben immer etwas Verträumtes und sie haben Humor. Das ist ungewöhnlich für einen japanischen Designer, doch Nendo hat sehr viel davon“, schwärmt Giulio Cappellini weiter. Bereits zwei Jahre später hatte Oki Sato, der ein geschickter Manager ist, eine Dependance in Mailand eröffnet und Produkte für Cappellini und De Padova entwickelt – zwei italienischen Firmen, die dem Japaner viele Türen nach Europa und in die Welt des Möbeldesigns öffneten. Die Liste an Herstellern, mit denen Nendo in den letzten Jahren kooperierte, liest sich wie das Who-is-Who der Möbel- und Einrichtungswelt – von Moroso bis zu Glas Italia und Foscarini bis zu Alias oder den Gebrüder Thonet Vienna und vielen mehr. Dazu kommen noch Modemarken wie Tod’s oder Louis Vuitton und japanische Marken, in Europa nicht bekannt, für die Nendo Accessoires und Produkte entwirft. Seit letztem Jahr hat das erfolgreiche Designstudio auch eine eigene Marke, die sich | n nennt und in Seibu-Kaufhäusern in Japan Alltagsgegenstände verkauft.

Oki Sato hat keine Angst vor dem Mainstream, in jeder Idee steckt für ihn der Anfang einer Geschichte, die gekonnt erzählt sein will. Seine Entwurfsphilosophie geht von möglichst einfachen Grundgedanken aus – eine reduzierte Skizze aus wenigen Strichen ist der Ausgangspunkt jedes Konzepts. Egal mit welchen Technologien die einzelnen Produkte entwickelt werden – aus Holz oder lasergeschnittenem Blech, Porzellan oder mit dem 3D-Printer – am Ende des Prozesses steht immer ein Gegenstand, der sich oft zum Humor bekennt, sich sofort erschließt und seine Betrachter zu einem echten „Wow“ verleitet. Um die Pointen seiner Produkte genau auszutarieren, kontrolliert Oki Sato alle Prototypen selbst. „Es geht immer um Emotionen“, meint er. „Ich beginne bei kleinen Ideen und lasse sie wachsen – zu Möbeln, Interiors oder Architektur“. Sein Float-Hocker für Moroso balanciert auf nur zwei Beinen – die beiden anderen ragen kurz vor der Sitzfläche in die Luft und lassen Zweifel bei der Statik aufkommen, die natürlich völlig unbegründet sind. Die Beistelltische soft, die Nendo für Glas Italia entwarf, verwandeln das harte, kantige Material durch raffinierte technische Eingriffe ein eine Kombination weich anmutender Oberflächen, deren Kanten in Regenbogenfarben schillern. Und auch bei den drop-Regalen für Cappelini liegt der „Wow“-Effekt sofort auf der Hand: Das oberste Fach der schmalen Metallregale klappt seitlich weg, es tanzt aus der Reihe, gerade so, als ob sich das Regal auflösen und davonfliegen würde.
Die kleinen Geschichten, die Nendo mit seinen Entwürfen erzählt, basieren auf sorgfältigen Alltagsbeobachtungen und stellen gängige Wahrnehmungsmuster auf den Kopf. Ihre Pointe ist in reduzierten Formen und Farben umgesetzt, damit sich die Entwürfe voll und ganz auf ihre Aussage konzentrieren können. „Oki liebt neutrale Farben – weiß, schwarz und Grautöne. Ich hingegen mag gerne kräftige Farben“, meint Luca Nicetto. Der italienische Designer hat mehrfach mit Oki Sato zusammengearbeitet – beispielsweise für die Kurage-Tischleuchte für Foscarini, ein zartes, lebendiges Wesen aus hauchdünnem Papier auf vier Holzbeinen. „Wenn man mich nach Rot fragt, dann sehe ich 50 unterschiedliche Rottöne, Oki hingegen nur eines. Ich glaube das ist ein Aspekt, der typisch für das japanische Design ist.“
Oki Sato ist in Toronto aufgewachsen und zog mit 11 Jahren von Kanada nach Japan. Er kennt also beide Traditionen – die westliche und die östliche, den Minimalismus aus Japan und das Augenzwinkern des italienischen Designs. Die schönsten Entwürfe von Nendo sind konzeptuelle Studien und one off-pieces, die nicht bis zur Serienreife entwickelt sind. Für das japanische Ando Momofucko Zentrum etwa entstand ein ungewöhnliches Vogelhaus, das eher an eine Vogelsiedlung oder -kolonie denn ein einfaches Einfamilienhaus erinnert. 78 einzelne kleine Vogelhäuser mit einfachen Giebeldächern fügen sich zu einem großen Haus, das in seiner Form genauso aussieht wie seine Einzelteile. „Nendos Möbel und Objekte sind immer mehr als die Summe ihrer einzelnen Teile“, beschreibt die Kuratorin und Direktorin des Art Institute of Chicago Zoë Ryan diesen Trick. Auch der Cabbage-Stuhls für Issey Myake begeistert auf den ersten Blick: Das ungewöhnliche Sitzmöbel, das Nendo ursprünglich für die die XXI Century Man-Ausstellung von Issey Miyake in Tokio entwarf und heute in verschiedenen Shops des Modelabels steht, entfaltet seine eigene, leichtfüßige Poesie. Der Sessel ist aus Papierresten der Pleats-Please-Kollektion des japanischen Modedesigners gefertigt. Wie bei einer Zwiebel sind die großen Papierballen, in denen der Plissee-Stoff gepresst wird, in einzelnen Schichten nach Außen gebogen. Wer auf dem Ergebnis sitzt, kommt sich so leicht und schwebend vor wie das zarte Papier, das ihn umgibt. „Das Konzept ist einfach, und trotzdem hat das Ergebnis eine Leichtigkeit und eine Poesie, die uns zur Interaktion verleitet“, so Zoë Ryan.
Der Imagination freien Lauf zu lassen und Momente zu kreieren, die den Betrachter Staunen und Innehalten lassen, ist das prägnanteste Charakteristikum von Nendo – und ein Merkmal, das seine Entwürfe von japanischem Design unterscheidet. Auf die Frage nach seinem Lieblingsbild aus der Kunst antwortete der Designer – wen wundert’s! – es sei René Magrittes „Ceci n’est pas une pipe“. In Nendos Entwürfen gerät die gängige Welt aus den Fugen – aber nur soweit, dass wir sie noch erkennen. Bleibt die Frage: Wenn keine Pfeife – was ist dann eigentlich auf Magrittes Gemälde dargestellt? Der große Assoziationsraum, der sich bei dieser Frage auftut, ist Nendos Spielfeld. Und keiner kennt die Regeln dieses Spiels so gut wie Oki Sato. Für die diesjährige Mailänder Möbelwoche entwickelte der Designer eine Manga-Stuhl Installation: Fünfzig verrückte Stühle, alle aus einfachen, dreidimensionalen Linien komponiert, verwandeln sich in dieser Formation zu Manga-ähnlichen, abstrakten Wesen. Sie strecken ihre Beine in die Luft, lassen die Rückenlehne in großen Kringeln durch die Luft tanzen, lösen sich seitlich auf als ob sie Pixelbildchen wären. Genau wie in einem japanischen Comicstrip, der seine Leser zum Schmunzeln bringt. Oder genau wie Nendo.

Text: Sandra Hofmeister

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Dr. Sandra Hofmeister

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