Teile der Sammlung

 

Meist sind die Objekte der festen Sammlung von Museen im Archiv verräumt und nichts passiert mit ihnen. Das Konzept des Schaudepots löst dieses Problem und hat in den letzten Jahren Schule gemacht. Das Kunstgewerbemuseum in Dresden jedoch hat einen anderen Weg gefunden: In der Ausstellung „Die Teile des Ganzen“ bringt es ausgewählte Möbel und Gebrauchsgegenstände aus seinem Fundus zum Glänzen und vermittelt so einen ungewohnten Zugang zur Objektkultur – mit einem kritischen Blick auf die Geschichte der eigenen Sammlung


Museale Objektkultur
Klinge an Klinge und Griff an Griff reihen sich die Messer auf dem Tisch nebeneinander. Lauter Alltagsgegenstände mit gleicher Funktion, und doch ist jedes anders. Den Anfang macht ein kleines Schneidewerkzeug aus dem 16. Jahrhundert mit filigranen Reliefverzierungen. Dann kommen Silber- oder Neusilbermesser – mit Klingen so groß wie Spachtel. Später in der Reihe lassen Jugendstilinitialen am Griff auf die Zeit um 1900 rückschließen. Und gegen Ende der Reihe werden die Messer kleiner und allesamt ähnlich groß. Als sich Edelstahl als Material durchsetzte, passte sich die Besteckgröße an einen Durchschnittswert an, der heute noch gültig ist.
Zum Auftakt der Ausstellung „Die Teile des Ganzen“ in der Kunsthalle im Dresdner Lipsiusbau macht eine Messerparade deutlich, wie überraschend unterschiedlich derselbe Alltagsgegenstand ausfallen kann – je nach Material, Epoche und kulturellem Hintergrund. Die Vielheit, die sich in der übersichtlichen Messerkunde abzeichnet, erzählt Geschichten, die mit den einzelnen Objekten verbunden sind und normalerweise im Depot des Kunstgewerbemuseums der Staatlichen Museen Dresden schlummern. Alle Einzelteile der Schau stammen aus der festen Sammlung des Museums, die nahezu 56.000 Inventarnummern und mindestens ebenso viele Geschichten fasst. Manche der insgesamt 350 Ausstellungsexponate haben das Depot noch nie verlassen und sind nun erstmals überhaupt zu sehen. „Man muss sie ins richtige Licht rücken, damit sie anfangen zu leuchten“, meint Tulga Beyerle, Kuratorin der Ausstellung und Direktorin des Kunstgewerbemuseums. Sie legte insgesamt 11 systematische Themenbereiche fest, denen die Exponate zugeordnet sind. Nicht die wertvollsten oder die schönsten Stücke waren dabei ausschlaggebend, sondern jene, die viel über die Sammlung verraten und ihre Vielfalt erahnen lassen. Dass sich so in der Gesamtschau ein ungewöhnlicher Blick ergibt, der nicht historisch ansetzt, wie sonst in Kunstgewerbemuseen oft üblich, ist Kalkül. So setzt die Ausstellung statt der belehrenden Arrangements von historischen Zimmern eher darauf, den Besuchern unerwartete Zusammenhänge und Überraschungen zu vermitteln. Dabei geht es letztlich um eine Objektkultur, die mit der Geschichte des Museums verbunden ist und sie gleichzeitig hinterfragt. Denn als Stellvertreter stehen die einzelnen Exponate auch wie partes pro toto für die gesamte Sammlung.

Fragmente, Konzepte und Zeitstücke
„Zerlegbar“ nennt sich einer der Abschnitte der Schau – und seine Exponate könnten nicht unterschiedlicher ausfallen. Der gigantische, massive Barockschrank – ein sogenannter Danziger Schapp – trägt sein Schwergewicht auf bauchigen Füßen und ist mit reichen Schnitzereien verziert. Putten und Blumenranken auf den Türen werden von der Kardinaltugend der Nächstenliebe gehütet, die vom trapezförmigen Giebel des Möbels herabblickt. Bei einem zweiten, identischen Schrank zeichnet sich überraschend ab, dass das Möbel aus dem 18. Jahrhundert trotz seiner Größe einfach handhabbar ist: Es lässt sich in einzelne Teile zerlegen. Was also massiv aussieht, kann nach einem einfachen Prinzip auf- und abgebaut werden – und das einige Jahrhunderte vor Ikea und vor der Montagewand Deutsche Werkstätten (MDW), die ebenfalls ausgestellt ist. Rudolf Horn, einer der wichtigsten Designer der DDR, entwarf das Systemmöbel in den 60er-Jahren für den VEB Deutsche Werkstätten. Das Möbelprogramm war eines der meistproduziertesten und erfolgreichsten der DDR – es wurde bis zur Wende produziert und in vielfachen Varianten verbaut. Zerlegbar sind aber nicht nur diese großen Möbel, sondern auch der filigrane Glaspokal aus der Dresdner Glashütte – ein Einzelstück mit großem Deckel, das im Auftrag von August dem Starken angefertigt wurde. Durch Glasgewinde an Schaft und Deckelknauf lässt sich das zerbrechliche Ganze in einzelne Teile zerlegen. Die Schraubgewinde erleichterten den Glasschleifern und –schneidern ihre Arbeit – bei starken Unterscheidungen konnten sie den Schliff nur in auseinandergeschraubtem Zustand anbringen.

Objektkultur und Fragmente
Alle Objekte der Schau sind über hellen Saal im Lipiusbau verteilt. Die Ausstellungarchitektur von The next Enterprise bespielt den Raum auch in die Höhe, nutzt seine Galerie und fächert die japanischen Vasen in einem schmalen und hohen Regal auf, das sich wie eine Kompassnadel unter das Glasdach des Ausstellungsraums zeigt und vertikale Orientierungsachse ist. Auf der umlaufenden Wandbespannung sind die einzelnen Inventarnummern der Sammlung wie in einer Endlosliste wiedergegeben. Verluste, die abgegebenen Objekte und die in der Ausstellung präsentierten Teile sind jeweils unterschiedlich markiert. Die Exponate selbst sind nach zwei Gestaltungsprinzipien inszeniert: Für die Unikate wie das Kunstkammerkabinett in Form eines Tisches entwarfen die Wiener Architekten Spiegelpodeste. Alle anderen Objekte sind auf einfachen Schautischen aus Pappelsperrholz ausgestellt – aus dem Material werden auch die Transportkisten für Museen gefertigt. Der Arbeitscharakter, der so entsteht, setzt sich auch bei den handgeschriebenen Kommentaren fort, die als zusätzliche Erklärungen zu einzelnen Objektgen auf das Holz oder die Spiegel angebracht sind.
1876 wurde das Kunstgewerbemuseum als Teil der Kunstgewerbeschule in Dresden gegründet. Das Ziel war ursprünglich, eine Vorbildsammlung für Handwerk und Industrie zusammenzustellen. So ist auch zu erklären, warum viele Exponate schon als sie in die Sammlung aufgenommen wurden isoliert als solche und ohne ihren Kontext gesammelt wurden: Das kostbare Fragment eines Seidengewebes mit Chrysanthemenblüten gibt Auskunft über die Webtechnik und das Muster – und kann Handwerkern als Exempel gelten. Sein historischer Kontext jedoch – höchstwahrscheinlich ist das kostbare Stück Stoff Teil einer Wandbespannung in einem der Damenschlafzimmer im Neuen Palais in Potsdam – war für das Kunstgewerbemuseum eher uninteressant. Ähnlich verhält es sich auch mit einer Holztüre, die noch vor der Eröffnung des Museums angekauft wurde: Ihre reichen Schnitzereien sind vorbildhaft, deshalb auch der Ankauf. Dass die Türe weder Füllungsfelder noch einen Türstock oder einen Raum um sich hat, störte im 19. Jahrhundert nicht. Bis heute ist die Herkunft und die Datierung des Unikats ungeklärt. Als Einzelobjekt ist das Fragment in der Ausstellung hoch oben in die Stirnwand des großen Saals eingelassen – als eine Türe, die ohne Rahmen und Durchgang nirgendwohin führt. Ihre Geschichte muss erst noch entdeckt werden – vielleicht ist die Ausstellung ein erster Schritt dazu.

Text: Sandra Hofmeister

Die Ausstellung „Die Teile des Ganzen. Geschichten aus der Sammlung des Kunstgewerbemuseums“ ist noch bis zum 21. Juni 2015 in Dresden in der Kunsthalle im Lipsiusbau zu sehen. www.skd.de

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