Gehry-Effekt und Chipperfieldismus
 

 Zum Paradigmenwechsel in der Museumsarchitektur

Exzentrischer Kitsch oder schlichte Bescheidenheit? Die Museumsbauten von Frank O. Gehry und David Chipperfield könnten nicht unterschiedlicher ausfallen. Ihre Gegensätzlichkeit schreibt Geschichte: Die Ära emotional aufgeladener Gesten ist vorbei. Statt der wilden Schnörkel aus Kalifornien ist britisches Understatement gefragt.

Verglichen mit Frank O. Gehry ist David Chipper- field eine Art Newcomer unter den Stararchitekten. Etwa eine Generation liegt zwischen dem Doyen aus Los Angeles und dem Londoner Ästheten – genug zeitlicher und geographischer Abstand für grundsätzlich gegensätzliche Haltungen, die auch in gebauter (Museums-)Architektur zum Ausdruck kommen. Während sich die Gebäude von Gehry and Partners in expressiven Gesten präsentieren, prägt schlichte Zurückhaltung und der Respekt vor dem historischen Kontext die Handschrift von David Chipperfield Architects. Betrachtet man die Geschichte der Museumsarchitektur vor dem Hintergrund dieser bei- den Ansätze, in denen sich ein grundverschiedenes Verständnis von Architektur offenbart, so zeigt sich ein typologischer Paradigmenwechsel zwischen emotionaler Übertreibung und nüchternem Understatement, der den Übergang vom 20. Jahrhundert ins neue Jahrtausend markiert.

Fulminantes Standortwunder – Museumsarchitektur zwischen Kitsch und Kommerz
Der Kunsttempel als ausdrucksstarker Knüller, als identitätsstiftendes Markenprodukt und als touristischer Standortfaktor für eine ganze Region: Mit der Eröffnung des Guggenheim-Museums in Bilbao 1997 erlebte dieses Kapitel in der Geschichte der Museumsarchitektur einen spektakulären Höhepunkt. Über Nacht verwandelte sich die heruntergekommene baskische Industriestadt zum Hotspot des inter- nationalen Tourismus’ und zum must-see für Kulturreisende. Etwa eine Million Touristen besuchen Bilbao seit der Eröffnung pro Jahr – eine fulminante Bilanz für eine Stadt, die früher eher Inbegriff der Depression denn der blühenden Kulturlandschaft war. Was heute allzuoft vergessen wird: Der Coup geht nicht nur auf die inzwischen umstrittene Expansionspolitik der Guggenheim Foundation und ihres damaligen Chefs Thomas Krens zurück. Immerhin finanzierten die krisengebeutelte Stadt und das Land den Museumsneubau und den Aufbau der Kunstsammlung mit 150 (!) Millionen US Dollar und setzten dabei risikobereit alles auf eine Karte, um den Standort am Ufer des Nervión werbewirksam aufzumöbeln. Im Rückblick hat sich diese Karte als Trumpf erwiesen. Mit einer Selbstfinanzierung von 75 Prozent liegt das Guggenheim Bilbao inzwischen an der Spitze der europäischen Kunsteinrichtungen.
Einen wesentlichen Anteil am Knall-Effekt hatte die Architektur: eigenwillige Schnörkel, die sich absichtlich nicht ins Stadtbild fügen, sondern sich im Gegenteil exzentrisch und selbstverliebt von ihm absetzen wollen und dies mit lauter Geste tun. 300 000 Titanbleche machen den kurvigen Neubau an der Biscaya zu einem glamourösen Oeuvre d’Art. Aufdringlich drängelt es sich als wichtigstes Stück der ausgestellten Kunstsammlung in die erste Reihe. Ein Ufo, das mit sehr viel Fantasie vielleicht an eine Traumsequenz aus Dalis Geälden erinnern mag, aber doch die unvergleichbare, ausdrucksstarke Handschrift seines kanadisch-kalifornischen Urhebers trägt. Letztlich bleibt der Bilbao-Effekt ein Gehry-Effekt. So sind die zahlreichen Epigonen von Bilbao nicht selten ebenfalls von Frank O. Gehry gebaut, der übrigens am 28. Februar seinen achtzigsten Geburtstag feierte. Wir gratulieren dem Jubilar in Los Angeles an dieser Stelle – mit einem fröhlichen Cheers!

Bilbao für Alle! – Die manieristische Phase der Gehry-Kringel
Viel wurde seit der Eröffnung des Museums über Bilbao geschrieben, und viele Bürgermeister und Museumsdirektoren träumten von einem ähnlichen Wunder, das natürlich mit denselben Architekten als Garantie für die Sensation am leichtesten kalkulierbar war. Dabei stellte sich heraus, dass sich Gehrys pathetischer Formenkanon unabhängig von der Nutzung auch auf andere Gebäudetypen übertragen ließ. 2003 eröffnete die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles „eine gebaute Sinfonie“, wie die Neue Züricher Zeitung damals befand. Weil die Kleinstadt Herford ein ostwestfälisches Exempel à la Bilbao statuieren wollte, gönnte man sich dort ebenfalls einen Gehry-Neubau, der sich in gewohnter Manier zwischen Kitsch und Übertreibung präsentiert. Im Jahr 2007 – um nur ein paar Stationen der Welttournee von Gehrys Bilbao-Architektur zu nennen – wurde in das Dörfchen Elciego zwischen den Gebieten Navarra und La Rioja ebenfalls ein Kringel-Titan geknallt. Das Hotel Marqués de Riscal wird die nächsten Jahrzehnte dafür sorgen, dass keine Ruhe mehr zwischen den Weinbergen einkehren wird. Der groteske Blechkörper in der ansonsten friedlichen Landschaft kennzeichnet das lange Ende einer Reihe formbetonter Gehry-Gebäude, die nun in eine manieristische Spätphase gekommen sind. Museumsbauten mit Gehry-Effekt sind heute schon historisch. Bei Wikipedia gelten sie als „sehr skurril“ und als Zeichen eines „dekonstruktivistischen Baustils“, der nicht zu den zeitgenössischen Phänomen zählt. Dennoch, und auch dies bleibt wahrscheinlich eine der Folgen von Bilbao, sind auch die ikonischen Auto-Museen in der Peripherie von Stuttgart und in München ohne Frank O. Gehry wohl kaum denkbar.

Wider die laute Prahlerei – Die Chipperfield’sche Bescheidenheit
Etwa gleichzeitig zur Eröffnung des MARTa Herford wurde David Chipperfields erster großer Museumsbau in den USA eingeweiht. Die Beweggründe des Bauherren für das Figge Art Museum in Davenport (Iowa) mögen vielleicht ähnlich wie damals in Bilbao gewesen sein. Schließlich sollte mit dem Museum ein Impuls zur Revitalisierung der 100000 Einwohnerstadt am Mississippi ausgehen, deren Zentrum an urbanem Leben verloren hatte. Doch die architektonische Grundidee des einfachen volumetrischen Museumsblocks, der 2005 seine Tore öffnete, unterscheidet sich grundsätzlich von Gehrys Entertainment-Architektur. Auf den ersten Blick mögen manche Touristen vielleicht enttäuscht sein, weil die Sensation ausbleibt. An ihre Stelle tritt sorgfältig geplante, architektonisch proklamierte Einfachheit. Statt sich mit lauten Gesten zu schmücken, präsentiert sich das Haus als geradliniger, lang gestreckter Quader. Statt glitzernder Oberflächen ist die Fassade in zurückhaltende Glasflächen gehüllt. Britisches Understatement statt Hollywood-Kitsch? Nüchterne Bescheidenheit statt aufdringlicher Prahlerei? In David Chipperfields Museumsneubauten öffnet sich ein Kosmos nicht weniger inszenierter Exempel, die in ihrer
Sprache dennoch deutlich schlichter und nüchterner ausfallen als die Kringelwunder von Gehry. Zum Beispiel das Literaturmuseum der Moderne in Marbach – jener sachlich nüchterne Musentempel, der klassizistische Elemente zitiert und sich mit Wandelgängen, die sich zum Neckartal öffnen, auf seine Umgebung einlässt. Chipperfields Museumsentwürfe – das macht sie heute für viele Museumsdirektoren und Bürgermeister interessant – verstehen sich gut mit ihren Nachbarn und werden nicht aufdringlich, sondern halten sich zurück. Selbst als Anbauten und Erweiterungen eckensie nicht mit dem Bestand an – eine Architektursprache, die sich sogar für den behutsamen Wiederaufbau eignet, etwa beim Neuen Museum in Berlin, das demnächst eröffnet wird. Als Prozess mag dieses Gebäude auf der Museumsinsel den Perspektivwechsel versinnbildlichen, der sich in den letzten zehn Jahren vollzogen hat. 1997, im Wettbewerb, waren sich David Chipperfield Associates und Gehry and Partners als Finalisten gegenüber gestanden. Als sich damals die Briten
durchsetzten, wurde Chipperfield als Traditionalist mit konservativen Ansichten kritisiert. Heute hingegen, wo der Wiederaufbau des Stadtschlosses entschieden ist, präsentiert sich Chipperfields wunderbare, sensible Arbeit am Neuen Museum als alles andere als konservativ. Alt und Neu ergänzen sich auf wunderbare Weise und zollen sich gegenseitig Respekt, ohne dass ein Part in die Knie gezwungen wird. Chipperfields Umgang mit Historischem, behutsam ergänzt durch moderne Elemente, ist ein wohltuender Lichtblick im
fantasielosen Rekonstruktions- und Wiederaufbauwahn, der derzeit in Deutschland wütet. Doch mal ganz abgesehen
davon: Wie würde die Öffentlichkeit wohl reagieren, wenn statt des schönen Chipperfield-Entwurfs ein Gehry-Kurvenklotz als Pendant zum Alten Museum von Schinkel gebaut worden wäre? 2013 wird jedenfalls ein weiteres Chipperfield-Gebäude mit Wandelgang, die James Simon-Galerie, die Besucher der Museumsinsel in Empfang nehmen. Gleich gegenüber fügt sich bereits ein Chipperfield-Neubau wie selbstverständlich als moderner Baustein in das historische Stadtbild – die Galerie am Kupfergraben. Die Berliner Museumslandschaft macht deutlich, dass heute nicht Gehrys sondern Chipperfields Ästhetik common sense ist und sich auf staatstragendem Niveau durchgesetzt hat.

Ein Chipperfield, viele Chipperfields –  Chippferfieldismus?
Angesichts der Produktivität von David Chipperfield Architects können Journalisten ihre liebe Mühe haben, nichts durcheinander zu bringen und Schritt zu halten. Mit Niederlassungen in Berlin, London, Mailand und Shanghai arbeiten die Architekten derzeit an mehreren Museumsentwürfen gleichzeitig. Viele ihrer Ausstellungsgebäude sind schon realisiert – etwa im japanischen Chiba oder in Henley-on- Thames. Manchmal mag dieser globalisierte Erfolgskurs doch ein wenig an den Bilbao-Effekt erinnern: ein Gehry, etliche Gehrys. Ein Chipperfield-Museum, etliche Chipperfield- Museen. Auch Essen und Zürich können sich schon bald mit Museumserweiterungen des Londoner Architekten brüsten, und in der englischen Grafschaft Kent entsteht derzeit, vor malerischer Kulisse am Meer, die Turner Gallery – ebenfalls nach Plänen von Chipperfield. Doch vom Gehry-Effekt ist bei all diesen Beispielen nichts zu spüren. David Chipperfields
Formensprache ist nicht auf den Knall-Effekt ausgelegt. Sie versteht sich vielmehr als sorgfältig, auf den Kontext eingehendes und ausgeglichenes Kalkül. Die Chipperfield’schen Museen wollen gar keine Hotspots sein. Und sie wollen den Ausstellungsstücken auch nicht die Show stehlen, sondern lassen ihnen immer den Vortritt. Diesem Konzept und David Chipperfield Architects gehören zweifelsohne die Zukunft der Museumsarchitektur. Von „Chipperfieldismus“ zu sprechen mag zugegebenermaßen trotzdem etwas übermütig sein. So ist die Chipperfield’sche Philosophie alles andere als ein Ismus. Sie hat weder Gemeinsamkeiten mit dem Futurismus noch mit dem Dekonstruktivismus, bleibt undogmatisch, aber ist sich in der Sache dennoch sicher. Mit den Berliner Bauten wird David Chipperfield einen Platz im Olymp der Museumsarchitektur erhalten. Der Pritzker-Preisträger Gehry sitzt dort schon lange. Er wird seinen Londoner Kollegen wahrscheinlich mit großer Geste willkommen heißen.

Text: Sandra Homfeister

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